Tanja Dückers: Hausers Zimmer (490 Seiten, 2011)

Tanja Dückers: Hausers Zimmer (490 Seiten, 2011)

„Hausers Zimmer“ erstand das Erdwesen einst nach einer Motorradmesse auf einem Wühltisch in der City von Dortmund. – Doch was hatte das Erdwesen zum Kauf bewogen?

Der Name Hauser!

Denkt doch „jeder“ gleich an Kaspar Hauser und seine für damalige Verhältnisse unglaubliche Geschichte, Zeit seines Lebens bis zum 16. Jahre in halb liegender Stellung eingesperrt gewesen zu sein. (Nach Natasha Kampusch wissen wir heute, dass so etwas durchaus möglich ist!) Aber zu Erdwesens Enttäuschung hatte dieser Hauser mit seinem Zimmer so rein gar nichts mit dem Kaspar Hauser von damals zu tun.

Im Umschlagstext des Buches hätte ein wenig mehr zum Inhalt gestanden, aber das Buch war eingepackt und gab so kaum etwas von seinem Inhalt Preis. Es war mühselig, nach vielen Jahren des Herumstehens im Regel einen Anfang zu finden. Das Erdwesen brauchte drei Starts zum Lesen des Buches, welches dann einfach nur so vor sich hinplätschert.

Beschrieben wird das Leben eines Teenagers, Julika Zürn, in West-Berlin im Jahre 1982. Und ja, das Erdwesen kann alles bestätigen auch wenn es selbst in Restdeutschland aufwuchs, denn auch wir hatten einst Besuch aus Berlin, der seltsamen durch eine Mauer geteilten Stadt.

Das Buch fällt auf, weil es dermaßen spannungslos geschrieben ist, dass man ständig auf etwas wartet, was doch nun endlich doch noch passieren wird. Aber die Tage kommen und gehen, sie verrinnen, und zum Schluss zerfällt praktisch die ganze aufgebaute Geschichte in ein gepflegtes Nichts. Tribut der Null-Bock-Generation. Erinnerung an den Kalten Krieg und die zigfache Zerstörung von allem, wenn irgendwo etwas schief geht.

Was erstaunlich ist?

Wie die Autorin (Jahrgang 1968) es geschafft hat, derlei viel „Krimskrams-Informationen“ allen Ernstes zu einem 490 Seiten starken Buch zu formen. Das kann ihr eigentlich nur mit Hilfe ihres alten eigenen Tagebuches gelungen sein. Das Erdwesen hatte zumindest viele Geschehnisse der Weltpolitik und Sichtweisen schon lange Zeit einfach vergessen. Aber wen es interessiert, wie ein Teenager im Jahre 1982 aufgewachsen ist, der sollte genau dieses Buch lesen. Es spielt zwar in Berlin, aber trifft im groben Umfange durchaus auch auf „Restdeutschland“ zu. „Restdeutschland“ war nicht ganz so hip, nicht ganz so politisch, nicht ganz so kunstbesessen, aber sonst hat es sich wirklich ganz exakt genau so angefühlt. Und wer es gelesen hat, weiß, warum damals Arafat-Tücher und Turnschuhe getragen wurden, warum es nicht sinnvoll war, sich mit irgendetwas nachhaltigem zu beschäftigen.

Ein paar Jahre später sah es zuerst gut aus, Deutschland wurde wiedervereint – was niemand 1982 ahnen konnte – aber dafür kletterten die Arbeitslosenzahlen dermaßen an, dass aus der Null-Bock-Generation unversehens die Generation Praktikum erwuchs, die in vielen Fällen erst mit Mitte 30 einen dauerhaften bezahlten (!) Job in Beschlag nehmen konnte. Eigentlich ist es eine Generation, die niemand überhaupt gebraucht hat und über die man auch bis zum heutigen Tage nichts Besonderes erfährt. Irgendwo kurz nach den Baby-Boomern und weit vor den „modernen“ Generationen, die allein durch ihre Arbeitsscheu im stets von ihr erwünschten „Rampenlicht“ steht.

Das Beste, was man zu dieser Generation von „damals“ sagen kann ist wahrscheinlich wirklich, dass uns tatsächlich nichts mehr ernsthaft schocken kann, weil uns ohnehin nie jemand unterstützt hat und wir ohnehin immer auf uns selbst gestellt waren. Das ist vermutlich auch eine Leistung. Wir kommen zurecht. Aber kein Politiker oder Firmenboss kann sich uns wirklich zu Nutze machen, denn irgendwo tief in uns glauben wir an die perfekte Autarkie durch eine eigenartige Mischung aus unauffälliger Rebellion und einem gepflegten Eigenbrödlertum.

Nochmal lesen würde ich das nicht! Es reicht vollständig aus, einst selbst zu dieser Zeit ein Teenager gewesen zu sein. Damit ist alles gesagt, was zum Buch zu sagen ist. – Auf Dauer hat dieses Buch sicher einmal einen echten historischen Wert, weil ich vermute, dass ganz viele Leute vergessen haben, wie es damals war und warum sie noch heute genau so sind, wie sie sind. Was ist schon Corona, was ist schon der Angriff eines verrückten Kriegstreibers auf einen anderen, wenn Du damit groß geworden bist, dass Dir jeden Tag einfach so der ganze Planet um die Ohren fliegen kann, während Du bei Dir zu Hause in Deinem Zimmer darauf wartest, dass etwas geschieht, was nicht geschehen wird? – Genau wie einst Kaspar Hauser.

Sehr gut gemacht. Sehr gut beobachtet und sehr angemessen in Szene gesetzt.

Über Erdwesen

Erdwesen ist ein Erdwesen! Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Erdwesen schreibt aber auch noch in einer Reihe von anderen Foren und es gibt auch Foren, in denen sie sich so unbeliebt gemacht hat, dass sie dort heute besser nicht mehr schreibt.
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