Gillespie, Donna: Mondfeuer (1149 Seiten, 1994)
englischer Titel: The Lightbearer
Ganze 15 Jahre schrieb die Autorin aus San Franzisko an diesem Roman, einem unfassbaren Mammutwerk, welches von der ersten bis zur letzten Seite mit der gleichen Beharrlichkeit Stück für Stück die komplette Erzählung Preis gibt.
Im Mittelpunkt stehen Auriane, eine germanische Kriegerin, der bereits als Kind ein schreckliches Schicksaal geweissagt wurde und Marcus Julianus, einem Sohn Roms, der jedoch durch den Unbill des Lebens von seinen Eltern versteckt wurde, verloren ging und nur durch Zufall wieder zu ihnen zurückkehrte als er bereits fast erwachsen war.
So haben die beiden Protagonisten eine Gemeinsamkeit, denn beide sind in ihren frühen Jahren gezwungen, über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen, um ihr Leben zu meisten und um überhaupt zu überleben. Auriane, die Tochter eines chattischen Kriegerfürsten wird jäh in den Krieg zwischen den Chatten und Rom geworfen, als ihr Vater ausgerechnet durch ihre Hand stirbt und sie sein Lebenswerk vollenden muss.
Marcus Julianus hingegen wächst in den Slums Roms als Sklavenkind auf, welches immer wieder von hier nach dort geschoben wird, weil er anders ist, lesen kann und aus unbekanntem Grund nach Wissen strebt, welches einem Sklaven per Definition nicht zuträglich sein kann. Erst durch einen Zufall findet ihn sein Vater, der lange Zeit Feldherr in Germanien war, wieder. Jedoch ist der Zeitpunkt bereits zu spät, aus ihm den reichen, hoch geborenen Sohn zu machen, der er aufgrund der eigenen Erfahrung als römischer Kindersklave nicht mehr werden kann.
Es folgen Schlachten, Verfolgungsjagden, Zwietracht und Misgunst. Für Auriane endet es in der Verschleppung als Sklavin nach Rom, für Markus Julianus heißt es, das Erbe seines Vaters anzutreten, mit dem er sich kaum identifizieren kann. Sein Vater war ein rechtschaffener Mann, der ein Standardwerk über die Gesitten und Gebräuche Germaniens geschrieben hat. Dies gewährt Marcus Einblicke in eine ganz andere Welt. Das mehrbändige Werk wird jedoch von Markus altem, aber zweifelhaften Freund Domitian zur verbotenen Literatur erklärt, als er nach seinem Vater und nach seinem Bruder auf den Thron folgt. Markus will jedoch das germanische Lebenswerk seines Vaters in der römischen Geschichte die Würdigung zukommen zu lassen, die es verdient und riskiert viel um seine Belange als Sohn des erfahrenen Feldherren Gemaniens, dem es jedoch nie gelang Germanien zu unterwerfen, durchzusetzen.
Domitian, jener heute vergessene Herrscher, der aus der Geschichte Roms getilgt wurde, wird immer mehr zu einem Monstrum, welches das Volk und die, die ihm einst nahe standen, tyrannisiert. Sein Feldzug gen Germanien endet in einem Desaster. Zwar hat er alle Informationen aus dem Standardwerk über Germanien bezogen, die ihm auch halfen, die Germanen vernichtend zu schlagen, aber letzten Endes kann er nur eine sehr überschaubare Anzahl von Gefangenen im Triumphzug durch Rom seinem Volk zeigen. Zudem gibt es kaum erbeutete Reichtümber und die Grenze Germaniens ist weiterhin nahezu unbefriedet. Die Provinz wirft aufgrund der baumbestandenen Landschaft keinen nennenswerten Profit ab. Wie also diesen Feldhzug gegenüber dem Steuerzahler rechtfertigen?
In Germanien wird Reichtum anders definiert als in Rom und die Germanen sind für die Römer lediglich Barbaren, die nicht einmal eine Schriftsprache kennen. Die Germanen kennen jedoch auch keinen Besitz an Land, leben in Sippenverbänden und dienen ihren Göttern, die überall in der Natur stets präsent sind. Das ist etwas, was den zivilisierten Römern schon lange abhanden kam. Dort haben die Götter Tempel aus Stein und in diesen wird geopfert, so es dem Opfernden zuträglich ist. Marcus Julianus erkennt diesen Wiederspruch und philosophiert als Chefberater des Kaisers Domitian weiter über die unterschiedlichen Auffassungen im Kaiserreich und in den Provinzen. So bringt er sich immer mehr in die Schusslinie seines allmächtigen Kaisers.
Zwischen dem ungleichen und doch so gleichen Paar Auriane und Makus entspinnt sich aufgrund einer alten Weissagung der germanischen Vileda eine Liebesgeschichte, aber diese bildet nur den Hintergrund der ganzen Erzählung, denn zuerst muss Auriane ihr Schicksal erfüllen und ihren alten germanischen Wiedersacher im Kollosseum von Rom für ihr Volk rächen. Marcus versucht zu verstehen, kann es aber nicht. Zu sehr ist er Römer, zu sehr ist er der offensichtlilchen Logik verfallen.
Markus sieht sehr früh, dass sich zwischen Kaiser Nero und Domitian immer mehr Parallelen auftun. Unermüdlich arbeitet er über Jahre deshalb an der Absetzung Domitians und findet im unauffälligen Senator Nerva einen vertrauenswürdigen Nachfolger. Die Erzählung wird mit jeder Seite dramatischer, aber für den geneigten Leser sind die politischen Hintergründe und Erfordernisse doch recht schwer zu begreifen, während die Liebesgeschichte in den Hintergrund tritt und die Welten – jede engstirnig für sich genommen – immer stärker aufeinander prallen.
Letzten Endes wird dann – wie zu erwarten – doch noch alles gut mit den beiden Protagonisten und so endet dieses Buch dann auch ganz ohne Cliffhänger mit Marcus, der auf seinen Wunsch und das Geheiß Kaiser Nervas Roms eine mittelmäßige Anstellung in Obergermanien (Taunus) erhält und mit seinem nicht angetrauten Weibe Auriane zu den Chatten, ihrer Welt und ihren Gebräuchen zieht.
Die Autorin nutzt mit ihrem Roman einen weißen Fleck in der Geschichtsschreibung des römischen Reiches aus, um Kaiser Domitian mit seiner Schreckensherrschaft noch einmal präsent werden zu lassen, auch wenn die offiziellen Quellen sich darüber ausschweigen. Dabei widmet sie viel Zeit dem Leben und der Ausbildung von Gladiatoren, die Domitian einsetze, um die Massen zu befriedigen und sich seine Gegner durch eine Art Festivalisierung des Todes vom Leibe zu halten. Vom Prinzip her nichts anderes als wenn der Staat heute die Bürger mit allerlei Festivitäten bei Laune hält und tausende von Polizisten abordnet, die dann statt für Recht und Ordnung zu sorgen, dafür eingesetzt werden, Hooligans bei Fußballspielen im Zaum zu halten. Bradbury würde sagen: Soma für’s Volk. – Nur eben eine Spur grausamer. Aber war es wirklich grausamer? Heute finden die Grausamkeiten vor allem im Darknet statt und auch damals konnten sich lange nicht alle einen Besuch im Kollosseum leisten. Von daher hat sich eigentlich gar nicht so viel verändert…