José Manuel Fajardo: Brief vom Ende der Welt (1996, 190 Seiten)

Was liest man nach einem Frühmenschenabenteuer mitten in Afrika? Da das Bücherregal des Erdwesens auf den ersten Blick nichts hergab, entschied sie sich für ein Buch, welches aber ganz sicher wirklich nicht als Anschlusslektüre passte und in überaus großer Schrift abgedruckt war.

José Manuel Fajardo: Brief vom Ende der Welt (1996, 190 Seiten)

Das Buch ist ein Brief eines Seemanns an seinen Bruder in die Heimat. Der Seemann war Teil der Expedition von Christoph Kolumbus nach „Indien“, also Hispaniola. In einer alten Sprache setzt sich der Seemann immer wieder hin und berichtet seinem Bruder von Freud und Leid in der Fremde. Doch wird der Bruder diesen sehr langen Brief jemals erhalten?

Durch den Seemann erfahren wir, was sich im Fort La Navidad zutrug und warum kein einziger der zurückgelassenen Seefahrer dieses Expedition überlebte. Es ist ein anklagendes Buch, denn mit den Augen seiner Zeit berichtet der Seemann von den grauenhaften Veränderungen, die aus dem Warten im Nirgendwo und dem Ruf des legendären Goldes der Indianerstämme aus Seeleuten Verbrecher und Vergewaltiger macht. Auch der Seemann selbst ist nicht ohne Fehl und Tadel, besinnt sich aber dennoch immer auf die Werte, die sein Leben prägten und viel gesunden Menschenverstand. Es fällt ihm schwer, die Gräueltaten der anderen hin zu nehmen, auch wenn er kaum daran etwas ändern kann, denn mitgefangen bedeuetet hier auch mitgehangen.

Deutlich wird in seiner Schilderung immer wieder, dass die vermeintlich „Wilden“ über ein ausgereiftes Wertesystem verfügen, wie die Christen es meinen mit ihrer Christenheit allein, gepachtet zu haben. Die Naivität auf beiden Seiten erlaubt, dass das Böse gnadenlos um sich greift und dass gegen die Nachfolgenden Christen nichts auszurichten sein wird, so lange auf der indianischen Seite nur unzivilisierte Wilde gesehen werden.

Am Ende kommen wirklich alle Seeleute um, außer ein einzelner jüdischer Konvertit, dessen Spur sich verliert. Auch der Briefeschreiber, der sich bereits vollkommen in die Welt der vermeintlich Wilden integrierte, muss seinen Brief unvollendet belassen und kann ihn nicht mehr unterzeichnen. Aber der Brief geht nicht verloren, denn gefunden wird er Jahre später bei einem indianischen Stamm. Dieser wird erobert, wie alles erobert wurde und so gelangt der Brief wieder in die Hände der Eroberer, die jedoch beschließen, die kühnen Gedanken des Seemanns niemals mehr ans Licht der Öffentlichkeit gelangen zu lassen, weil dies der eigenen Sache, hier der Sache des katholischen Königs Don Fernando von Kastilien immens Schaden könne. Es ist besser, Wilde bleiben Wilde und Christen bleiben Christen und so wandert der Brief ins Archiv des Bischofs von Burgos.

Das ist kein schönes Buch, aber es ist ein wahres Kunstwerk.

Über Erdwesen

Erdwesen ist ein Erdwesen! Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Erdwesen schreibt aber auch noch in einer Reihe von anderen Foren und es gibt auch Foren, in denen sie sich so unbeliebt gemacht hat, dass sie dort heute besser nicht mehr schreibt.
Dieser Beitrag wurde unter Bücher abgelegt und mit , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar