Bertram, Gerit: Die Goldspinnerin (2010, 510 Seiten)

Bertram, Gerit: Die Goldspinnerin (2010, 510 Seiten)

Nach dem Ausflug zu Kelten und Römern, was läge da näher, als zurück zu kehren in die bedeutende Hansestadt Lübeck und in das Jahr 1396? – Das ist natürlich eine heftige Kombination. Wie schneidet ein Buch ab, nachdem man gerade eines gelesen hat, welches „perfekt“ ist und ein anderes, welches das alte Lübeck bereits grandios zum Leben erweckte?

Und da sind wir auch schon bei den Besonderheiten dieses Buches, denn in Wirklichkeit handelt es sich bei der Autorin „Gerit Bertram“ um ein Autorenpaar, welches sich erst kürzlich übers Internet zusammengefunden hat und bei dem es sich um eine Frau und einen Mann handelt. Leider wusste das Erdwesen um diesen Sachverhalt schon bevor sie das Buch las und das führte dazu, dass sie bestimmte Passagen klar der Autorin und andere klar einem männlichen Autor zuordnen konnte. Die Handlung ist stets kurzweilig und baut gut aufeinander auf, erscheint jedoch oftmals nicht stringent. Zwar haben wir es hier irgendwie mit einem Kriminalfall zu tun, tatsächlich läuft das Buch aber nur unter „Historischer Roman“ und das trifft es wohl auch besser, denn der Kriminalfall wirkte zumindest auf das Erdwesen in Teilen sehr konstruiert, zwar absolut nachvollziehbar aber die Intention der handelnden Personen bleibt in Bezug auf die erzählte Geschichte zu oft schleierhaft.

Nichts desto trotz ist es eine gute und äußerst kurzweilige Geschichte, die jedoch in Teilen aussieht wie die Gegenwart (Deutschlamd als Drehscheibe des international Menschenhandels zum Zwecke der Prostitution) und ein andermal abdriftet in eine Art Märchenwelt mit einer polnischen Prinzessin, die hier eher weniger gut bekannt ist, aber dennoch eine historische Persönlichkeit von besonderem Rang darstellt. Da es müßig wäre, die fadenscheinige Story nachzuerzählen, beschränkt sich das Erdwesen auf das, was wirklich gelungen ist und was dieses Buch ausmacht, denn auch hier wird die Welt nicht aus dem Blick der Reichen und Schönen gezeigt, sondern aus dem Blickwinkel der Benachteiligten und Armen, die in diesem Falle aber für Erdwesens Geschmack doch auf etwas zu einfache Art und Weise letzlich zu einem sehr guten Auskommen gelangen und in einem „alles-ist-gut-Ende“ landen.

Gut dargestellt wird beispielsweise die gesellschaftliche Stellung der Familie des Scharfrichters (hört, hört: es gab im Mittelalter „Schandfarben“) und des Bruders der Hauptdarstellerin, der als Narr durch die Lande zieht und sein Geld verdient. Nie zuvor hat sich das Erdwesen Gedanken gemacht, wie das alltägliche Leben ausgerechnet eines Narren ausgesehen haben könnte. Auch dem Spökenkieken und gesellschaftlichen Leben wird angemessen Tribut gezollt.

Alles in allem wirkt das Buch in seiner Gesamtheit jedoch nicht sehr glaubhaft, obwohl das Buch perfekt recherchiert ist und zumindest in dieser Hinsicht dem Buch von Derek Meister in Nichts nachsteht. Teilweise befinden wir uns hier sogar an den gleichen Lübecker Schauplätzen. Während es Meister jedoch schafft, eine stimmige Atmosphäre über sein gesamtes Buch zu legen, so fallen hier immer wieder Episoden aus dem Rahmen und dessen, was angemessen ist. Weshalb wird die Hauptdarstellerin beispielsweise im Kerker vergewaltigt, obwohl weder der Vergewaltiger noch die Tatsache an sich im weiteren Buch aufgegriffen wird. Also ist es alles in allem eine vollständig überflüssige Darstellung, die (wie so oft bei mittelalterlichen Vergewaltigungen) nichts zur eigentlichen Geschichte beiträgt.

Es ist schade, denn sämtliche Charaktere werden tadellos ins Szene gesetzt. Die Atmosphäre wird immer wieder erneut anschaulich gestaltet. Aber bei Dialogen fängt es leider schon an. Einige, wenngleich wenige Dinge passen nicht. Man kann sich nicht erklären, warum das nun so und nicht anders gesagt wird. Vielleicht hätte man bestimmte Kleinigkeiten auch einfach ganz weglassen können. Dabei wird das Buch keinesfalls langatmig. Es ist eher so, dass das Autorenduo etwas zu viel zu erreichen hofft (?) und dabei die Abfolge der Ereignisse und die Schlussfolgerungen, die eigentlich der Leser ziehen können sollte, zu sehr ins Hintertreffen geraten. Fast wirkt es so, als seien Episoden wirlich sehr ausgefeilt und perfekt zu Ende geschrieben worden, um dann arglos aneinander gereiht zu werden. Dadurch kommt es zu atmospährischen Brüchen und die Gesamtdarstellung leidet. Beim Lesen bemerkt man das daran, dass man das Buch beliebig oft weglegen und wieder einsteigen kann.

Es ist keinsfalls ein nicht-lesenswertes Buch, aber dem Autorenduo mangelt es offenkundig an Erfahrung, einzelne Inhalte besser mit einander in Einklang zu bringen und zu straffen, d. h. in diesem Falle, weniger auszuformulieren und es mehr dem Lesenden zu überlassen, Schlussfolgerungen zu ziehen.

Bleibt die abschließende Frage, warum das Buch nun ausgerechnet den Titel „Die Golspinnerin“ bekam, denn dieser Spinnerei wird im Buch keine besondere Bedeutung beigemessen. Es bleibt dabei, dass es sich bei Christin, der Hauptperson um eine talentierte Goldspinnerin handelt, deren Fokus jedoch auf Heilung liegt. Sie übt den Beruf der Goldspinnerin im gesamten Werkt nicht weiter aus, da sie auf der Flucht vor ihren Häschern ist, weil sie zum Tode verurteilt wurde, da sie ihren Mann umgebracht haben soll. Warum das mit der Goldspinnerei aber nun etwas besonderes ist, weil ja so gut wie alle Frauen damals mit Spinnen beschäftigt waren, bleibt das Geheimnis der Autoren und ist wohl eher einem guten Marketing geschuldet, denn an Berufen für Frauen hat man bei den historischen Romanen ja inzwischen so ziemlich alles durch, was man in einem erinnerbaren Titel unterbringen könnte.

Der Tiefpunkt für das Erdwesen war dann leider der letzte Abschnitt. Eigentlich eine prima Sache, aber nur wenn die Leserin das auch ad hoc versteht. Das Erdwesen stand leider komplett auf dem Schlauch und musste erstmal in sich gehen. Aber da sie mit den Schandfarben des Mittelalters eben nicht sonderlich vertraut ist, begriff sie den Schluss erst nach kurzem Nachdenken. Dabei ist es wirklich ein toller Gedanke und wirkt in diesem Falle auch keinesfalls wie sentimentales Gedöns, sondern eher wie ein gesellschaftlicher Meilenstein und aus dieser Sicht ist das Buch dann auch wieder lesenswert.

Über Erdwesen

Erdwesen ist ein Erdwesen! Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Erdwesen schreibt aber auch noch in einer Reihe von anderen Foren und es gibt auch Foren, in denen sie sich so unbeliebt gemacht hat, dass sie dort heute besser nicht mehr schreibt.
Dieser Beitrag wurde unter Bücher abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar