Heute war es soweit! Das Erdwesen tat genau das, was es eine Woche zuvor noch kategorisch ausgeschlossen hatte. Aber angesichts des beständig schlechter werdenden Zustands der verbliebenen Hosen, der abermals steigenden Inzidenzwerte und angesichts der chaotischen Corona-Politik, war es das beste, so schnell wie möglich „Nägel mit Köpfen“ zu machen. Also flux die im Internet angegebene Nummer gewählt, um im hiesigen Bekleidungsgeschäft einen Termin zu vereinbaren. Ging ganz leicht. Erdwesens Name und Telefonnummer wurden notiert.
Das Erdwesen hastete dann mit dem Fahrrad bei kräftigem Gegenwind zum angegebenen Zeitpunkt zur hiesigen Shopping-Meile. Oh, welch Glück! Hatte sie den Laden doch rein intuitiv wiedergefunden, denn die letzten 25 Jahre ist sie wohl nicht mehr hier gewesen und wer konnte auch ahnen, dass sie diesmal noch ein Häuschen weitergezogen waren.
Drinnen ging alles ganz gesittet von statten. Namen und Adresse auf einen vorbereiteten Zettel notieren, einen Erkennungschip zum Durchzählen der tatsächlich noch anwesenden Kundschaft über drei Etagen in Empfang nehmen und dann musste das Erdwesen sich erstmal orientieren. Aha! Gut gemacht: die, die die größten Größen tragen, müssen am weitesten nach oben rennen. Hat schon etwas von Fitness-Studio! Das gefällt – besonders in diesen Zeiten.
Oben angekommen wirkte der Aufbau sehr übersichtlich. Diese Geschäfte zeichnen sich dadurch aus, dass man das, was man haben möchte, wirklich zielsicher und sehr schnell finden kann. Andersherum kann sich diejenige, die sich lieber visuell durch das komplette Angebot leiten lassen möchte, auch genau das tun und von Aufsteller zu Aufsteller eilen. Das Erdwesen wusste allerdings heute nicht, wieviel Zeit man ihr geben würde und entschied sich demzufolge für die zielführende Variante. Ran an den Klamottenständer, Modelle aller Hosen gecheckt und die üblichen Verdächtigen gleich zur Hand genommen.
Das An- und Auziehen mit Maske ist schon etwas beschwerlich, aber das Erdwesen erkannte binnen kürzester Zeit, dass es heute die Etage ganz für sich alleine hatte und dazu wurde dennoch echte Shopping-Musik eingespielt – inklusive der Mitteilungen, auf was man denn heute ganz besonders zu achten hatte. Das mutete schon etwas seltsam an!
So eine Einzeletage zum selbständigen Einkaufen hat aber auch ihren Reiz. Wozu noch großartig wieder anziehen, um gleich die nächsten Dinge zum Anprobieren herbeizuholen?! Niemand da, der mit merkwürdigen Zahlenschildchen darauf achtet, wieviele Teile man in die Umkleide mitnimmt. Und auf Socken ging alles eh viel besser (dazu später mehr!).
Auf zum nächsten Objekt der Begierde. In der offenen Kabine einfach gut sortierte Haufen gebildet. Einiges aus Nostalgie und in Gedenken an vollere Zeiten doch wieder auf Bügel direkt an die Kabine gehängt: „Die gehört mir!“ – Ja, das wäre an einem normalen Wochenende fast schon Frevel, angesichts der wartenden Schlangen – äh ich meine Mitkonkurrentinnen – auf der Jagd nach den besten Stücken.
Innerhalb kürzester Zeit hatte sich das Erdwesen durch das halbe Angebot gearbeitet. Sie hätte auch durchaus noch weiter gemacht, konnte aber einfach nicht noch mehr durch das Geschäft tragen und zwei Wendeltreppen musste sie schließlich auch noch runter! Im Normalfall rechnet das Erdwesen die Preise der ausgwählten Stücke leidlich, jedoch meistens troztdem recht treffsicher vorab zusammen, aber dafür war an dieser Stelle keine Zeit. Normale Preise. Eine Hose trug einen -10% Zusatz. Schnell war noch das einzige 5 Euro-T-Shirt im ganzen Laden (bereits reduziert, versteht sich) gefunden und eine leider nicht reduzierte Jacke, die wenn man wartet, bis sie ein Einzelstück ist, höchstens noch 30 Euro gekostet hätte. Da das Erdwesen aus unerklärlichen Gründen einen hohen Verbrauch an diesen Jacken hat, nahm sie die dann auch noch mit. Was man hat, das hat man!!
Es war dann etwas schwierig, so druchgeschwitzt (mittlerweise trug das Erdwesen nur noch T-Shirt statt Gerry Weber Rolli) wieder nach unten zu gelangen, wo sie der verdutzten Verkäuferin alles auf den Thresen in eine Ecke legte. Durch eine neu eingetretene Dame erfuhr das Erdwesen unter Berücksichtigung des Sicherheitsabstands, dass die terminierte Shoppingzeit tatsächlich 1 ganze Stunde betrug. So entfleuchte ihr ein fröhliches „Ach, dann hab ich ja noch 10 Minuten!!“, was die beiden Verkäuferinnen und zwei andere Kundinnen (3 Etagen, 3 Kundinnen – das nennt man Planung!) etwas irritiert schmunzelnd zur Kenntnis nahmen.
Fassen wir kurz den grandiosen Einkauf zusammen: So viel habe ich in diesem Geschäft noch niemals auf einen Schlag gekauft. Es war jetzt nicht der größte Einkauf, jedoch vom Preis-Stücke-Verhältnis durchaus als stattlich zu bezeichnen. Soviel ist jetzt aber sicher: Wenn die alte Malerhose jetzt wieder dreckig geworden ist, dann kommt sie wirklich in die Mülltonne. Schließlich war sie dazu einst bereits im Jahre 2012 auserwählt worden…
Doch damit nicht genug: In weiser Voraussicht hatte das Erdwesen auch den hiesigen Technik-Markt online eine Vorab-Besuch abgestattet und das erste Teil war bereits heute abholbereit! Vor dem Lockdown war die CD gerade noch nicht im Markt da gewesen und nun war es der letzte Ladenhüter, der überhaupt noch davon zu haben war. Genau in diesem Geschäft, genau in dieser Stadt. Was für ein Glück!
Dann ging es zurück in das nicht vorhandene Getümmel der Fußgängerzone. Das Erdwesen hatte sich mittlerweile wieder wärmer angezogen und war bereit für die nächsten Shopping-Erlebnisse.
Wo war nur das althergebrachte Lurchie-Schuhgeschäft abgeblieben?! – Das war doch in Erdwesens Kindertagen ein riesiger Laden, wo man noch Füße in Schuhen röntgen konnte, um zu sehen ob sie passen! – Der Laden war inzwischen auch einige Häuser weiter angesiedelt, aber irgendwie haben sich die Verkäuferinnen gar nicht verändert.
Das Erdwesen wagte es einzutreten, weil neben der üblichen Telefonnummer mit Vorab-Terminvereinbarungshinweisen hier ein zusätzliches Schild stand, man könne auch direkt im Geschäft einen Termin vereinbaren. Das Erdwesen hinterließ also abermals ihre komplette Anschrift und Telefonnummer, desinfizierte sorgsam ihre Hände und irrte dann langsam in Richtung Schuhe (also nicht dorthin, wo „Lloyds“ stand). Leider ist es ein Schuhgeschäft, dessen purer Aufbau zum Kaufen anregen soll (also eher unübersichtlich). Aber eine Verkäuferin sah das Erdwesen mit wehendem Auskunfszettel und nahm diesen sogleich entgegen. Und dann kam auch endlich die obligatorische Frage, ob sie mir denn helfen könne?!
Aber gern doch! – Denn das Erdwesen trug vorausschauend genau das paar regendichte Schuhe, welches eben jenes nicht mehr war und von dem sich zudem abermals eine Sohle zu lösen drohte, während der kleine Zeh ein inzwischen jämmerliches Dasein fristete. „Ich hätte gerne absolut regendichte Goretex-Schuhe!“ – Ich hatte es mir schon gedacht, in den Augen der Verkäuferin blitzte ein kurzes Entsetzen auf. Man war hier ja schließlich kein Outdoor-Laden!! Aber dann fasste sie sich Dank langjährig antrainierter Professionalität schnell wieder, deutete auf ein Paar schwarze Treter, die sich deutlich vom restlichen Sortiment unterschieden und meinte „Das sind leider – ähm – unsere einzigen.“
Naja. So hübsch waren sie nicht, aber Schuhe mit Sohle sind immer besser als Schuhe bald ohne Sohle! Nachdem das Erdwesen noch ihre Größe preisgegeben hatte und die Verkäuferin überprüft hatte, ob dieses Paar auch der gesuchten entsprach, konnte das Erdwesen anprobieren. Super! „Die nehme ich dann!“
Die arme Frau!
So einen Schuhkauf hat sie sicher in ihrem ganzen Berufsleben noch nicht erlebt. – Üblicherweise erscheint man in diesem Geschäft mit dem gesamten Familienverbund, der sich hier jedoch bereits vor hunderten Jahren angesiedelt hat (also ein eher länger zurückliegender Migrationshintergrund aus frühestens römischer Zeit), um einer Person ein neues Paar Schuhe angedeien zu lassen. Es ist sozusagen ein Event! Muss es auch sein. Denn die Schuhpreise sind gigantisch. Dieses Paar mit gerade mal 130 Euro nahm sich da noch vollständig harmlos aus. Was soll’s? Das nächste Mal wird das Erdwesen wieder Schuhe, die ehedem 160 Euro kosteten für 25 bekommen, soviel ist doch ohnehin sicher. Da ist ein preislicher Ausrutscher tolerierbar, so lange man nur trockenen Fußes sein Ziel erreicht.
Aber das Auftreten des Erdwesens schien auch hier sein Ziel nicht gänzlich zu verfehlen. Der ausgefranste Pullover, die überaltete Outdoor-Jacke von vor mindestens 10 Jahren und dazu diese Trampel-Latschen, die zwar von Gabor waren, aber was man ihnen definitiv nicht mehr ansehen konnte – nach schlappen fünf Jahren durch Feld und Flur. Dazu irgendetwas (auf jeden Fall zu viel) in einen riesenhaften, unförmigen EDEKA-Leinenbeutel der Marke „Wucherpfennig“ gequetscht und auch noch ein Rucksack!
Ja, mir war inzwischen auch schon peinlich bewußt geworden, dass ich hier nicht in Hannover war, wo so etwas ganz normal ist. Nachdem die Dame auch noch das lädierte, aber ansonsten völlig intakte Portemonnaie gesichtet hatte, weil es schwierig war, zwischen den ganzen Zetteln die Bezahl-Karte ausfindig zu machen („Ja, wo is sie denn??“), meinte sie dann überaus freundlich: „Sie bekommen heute auf diese Schuhe noch einmal 20% Rabatt! Das ist nämlich das letzte Paar.“
Na also! Der Ruf der Hannöverschen ist zwar auf Dauer ruiniert, aber das Erdwesen hat auch hier wieder einmal satte 26 Euro bei einem einzigen Paar Schuhe gespart. Es geht doch!
Und nun konnte das Erdwesen den Schrei nach „Mehr“ doch förmlich hören. Also mit dem ganzen Beutel-Wust noch schnell in den Buchladen schräg gegenüber. Kalender mit 50% Rabatt!! Na also. Läuft. Das ist der billigste Mucha-Kunst-Kalender, den ich je erstanden habe und das Jahr hat doch noch fast 9 Monate. Dazu noch zwei weitere hübsche Kalender und noch eine Kleinigkeit. Alles nur, damit ich an der Kasse ein entsprechendes Chaos anrichten konnte. Schließlich war es hier zwar nicht Pflicht, seinen Namen und Anschrift zu hinterlassen, aber man musste eine riesige Shopping-Bag mit sich herumschleppen, nachdem man sich die Hände desinfiziert hatte.
Hoffentlich hat niemand das gefilmt: Ein Erdwesen mit Leinenbeutel, Rucksack, Gabor-Tasche und großformatigen Kalendern – mitten im März. „Ja, wir haben uns auch schon gefragt, ob wir die noch hinhängen sollten, aber dann kamen so viele Leute und haben nach Kalendern gefragt und wir haben ja so noch sooo viele!“ – Ja, das war dem Erdwesen auch schon aufgefallen. Dass noch kein Politiker gefordert hat, die Anzahl an Kalendern in Buchläden zu Gunsten von maskentragenden Kunden zu begrenzen!? Es wäre ja eigentlich naheliegend gewesen, wenn man Geschäfte am 17. Dezember schließt und dann am 8. März wieder öffnet.
In Ermangelang von Fahrradständern hatte das Erdwesen direkt vorm Laden geparkt und versuchte nun verzweifelt alles so zu verpacken, dass es die nächsten Kilometer durch Wind und Wetter unbeschadet überstehen konnte. Klar, dass da von einem Passanten für dieses in Münster und sogar in Hannover vollkommen normale Verhalten, auch noch ein Kommentar abgegeben wurde. Aber das Erdwesen sieht sowas gelassen. Alles SUV-Fahrer! Die haben doch gar kein Geld mehr, um soviel einzukaufen. Meinte seine Freundin übrigens auch.
Was für ein Erlebnis.
In Ermangelung von weiteren Unterbringungsmöglichkeiten für weitere Einkäufe schob das Erdwesen mit Maske das Fahrrad aus dem nicht vorhandenen Gewühl der Fußgängerzone bis zur nächsten Sitzgelegenheit am Wasser. Komischerweise hatte sich hier überhaupt niemand niedergelassen. Aber während das Erdwesen zuerst einmal die Schuhe wechselte und die alten Trampler, die übrigens auch aus dieser Stadt stammten (!) in den Abfalleimer verfrachtete, gesellten sich auf die übrigen drei freien Bänke wenigstens zwei weitere Menschen hinzu. Gerade so, als hätten sie dies schon lange nicht mehr getan.
So ging es dann mit dem über 20 Jahren alten Pasadena-Baikie zurück in Richtung Norden, wo sich das Erdwesen mit dem ganzen Geraffel und vollends „fertig“ ob der ungewohnten Anstrengung, erst einmal der Besichtigung der Einkäufe hingab, bevor es dann diesen ausführlichen Bericht verfasste. Nun gilt es, auch noch die alte Pioneer-Stereoanlage wieder in Betrieb zu nehmen.
Leute, geht shoppen, so lange wir dürfen! Shoppen macht doch glücklich :-)