Meyer, Kai: Der Rattenzauber (1995, 366 Seiten)

Meyer, Kai: Der Rattenzauber (1995, 366 Seiten)

Nachdem das Erdwesen es am Vortag endlich geschafft hatte, seinen neuen Liegestuhl zu montieren, konnte sie sich darauf niederlassen, um endlich in Ruhe und bei bester Rückenhaltung ein Buch zu lesen. Nach einer anfänglichen Skepsis gegenüber der Haltbarkeit des Liegestuhls beim Hinsetzen und Aufstehen (…) kam es so dazu, dass das Erdwesen sämtliche der 366 Seiten des Rattenzaubers verschlang, wenngleich sie das Buch das ein oder andere Male bestürzt aus den Händen legte, weil es einfach zu ekelhaft war!

Der Rattenzauber spielt im Jahre 1284, einige Monate nachdem 130 Kinder spurlos aus Hameln verschwanden. Der Hauptdarsteller Robert von Thalstein hat vom Herzog von Braunschweig den Auftrag erhalten, dem Verschwinden der Kinder in Hameln auf den Grund zu gehen. Sehr unbedarft geht er mit jugendlichem Elan frisch ans Werk und stößt in Hameln einzig auf Ablehnung, denn niemand will über die abhanden gekommenen Kinder sprechen – und das, wie sich später herausstellen wird – aus sehr gutem Grund!

Beim Lesen taucht man ein in eine völlig andere Welt mit anderer Sprache und anderen Gebräuchen. Kai Meyer versteht es brilliant, das alte Hameln wieder zum Leben zu erwecken und so hat man am Ende ein Buch gelesen, welches sich nicht nur durch eine perfekte Szenerie, eine perfekte Sprache auszeichnet, sondern auch durch einen perfekten Aufbau. Zwar gerät der zum Teil nur noch durch die Handlung taumelnde Hauptdarsteller und Ich-Erzähler von einer mislichen Lage in die nächste, so dass es zumindest dem Erdwesen das ein oder andere Mal wirklich höchst unglaubwürdig vorkam… Der nette aber auch arrogante Jüngling in Form eines Ritters scheint vom Pech verfolgt, gelegentlich zu Recht, denn ist er es nicht, der den wenigen überlebenden Kinder auch noch den Garaus macht?! So bahnt er sich seinen Weg zwischen Wahn und Wirklichkeit und die Geschichte spannt Ihre Fäden und gliedert sich dabei in die drei Teile:

  • Das Rattennest
  • Der Rattenkönig
  • Die Rattengruft

Und damit ist wirklich nicht zu viel versprochen! Nicht umsonst gibt es heute in Hameln immer noch Brot-Ratten zu kaufen und über der Weser (Hamelner Loch) prangt sogar eine güldene!

Der einzige echte Kritikpunkt des Erdwesens ist, dass sie unter einem „Rattenkönig“ etwas anderes versteht als der Autor. Woher sie dieses Wissen hat, weiß sie nicht, aber ehrlich gesagt, ist der „Rattenkönig“ im Buch noch eine Spur ekeliger als der „Rattenkönig“ des Erdwesens. Und die Einwohner Hamelns sind keine Hämelschen, sondern wohl doch eher Hamelenser, die sich zumindest damals auch noch dem Mindener Bischoff verpflichtet fühlten und darauf aus waren, ihren ganz eigenen Heiligen zu bekommen, indem sie ein riesiges Mysterienspiel aufführten.

Beim Lesen passiert es, dass man sich zu Anfang fragt, warum der Autor genau das denn nun auch noch schildert. Warum, das erfährt man dann aber je mehr die Geschichte voranschreitet. – Am wirklich ekelhaftesten ist sicherlich die Stelle, wo der Hauptdarsteller einmal mehr auf der Flucht vor seinen Häschern ist und er sich inmitten eines dunklen Wasserlochs voller Ratten stürzen muss. Prompt hängt ihm auch schon eine im Fleische… Pfui Ratte!

Naja. Es wird zwar nicht alles gut, denn die Kinder sind bis heute verschwunden, aber nun wissen wir wenigetens, was es mit dem Hamelner Rattenzauber auf sich hat. – Ein bannender historischer Roman, der mit echten historischen Fakten nicht geizt und zugleich eine wunderbare, grauenhafte Geschichte daraus entspannt. Auch dieses Buch zeichnet sich dadurch aus, dass das Erdwesen nun zahlreiche bunte Bilder und Sequenzen im Kopf hat. Zum Glück erscheinen sie aber nicht ganz so wahrhaftig wie aus dem „Crazy Horse“-Buch. Wer weiß, vielleicht denke ich auch erst daran, wenn ich das nächste Mal einen der „possierlichen Nager“ selbstsicher durch die Beete wackeln sehe!


Zur Webseite des Autors: https://www.kaimeyer.com/

Über Erdwesen

Erdwesen ist ein Erdwesen! Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Erdwesen schreibt aber auch noch in einer Reihe von anderen Foren und es gibt auch Foren, in denen sie sich so unbeliebt gemacht hat, dass sie dort heute besser nicht mehr schreibt.
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