Da nun ab dem Wochenende schon 17 von 72 infizierten Menschen in einem Wolfsburger Pflegeheim mit insgesamt 165 Bewohner/innen am Coronavirus gestorben sind, gerät die Politik unter Druck. Fahrlässige Tötung lautet der Vorwurf eines Rechtsanwaltes als es gerade einmal 12 Tote waren. Jedoch wird die Zahl nun weiter steigen.
Demenzkranke mögen nicht in erster Linie unbedingt unter körperlichen Gebrechen leiden, jedoch sterben Sie in oft an Unterernährung, weil sie das Hungergefühl verlieren und auch gar nicht mehr einsehen, dass sie etwas essen sollten. Schließlich ist das Essen ziemlich anstrengend und alles in allem mit äußerst viel Ungemacht verbunden: Schlabberlatz, Teller, Tassen, Besteck und dann auch noch das ständige Hin- und Her zwischen Tisch und eigenem Mund. Völlig überflüssig, denn Demenzkranke haben meiner Erfahrung nach, immer noch „jede Menge“ zu erledigen, was deutlich angenehmer ist. Schlafen beispielsweise oder im Stuhl sitzen oder einfach nur beobachten.
Und so hat nun Sozialministerin Reimann einen sofortigen Aufnahmestopp verhängt, es sei denn ein/e neu/e Bewohner/in könne zuerst 14 Tage in Quarantäne aufgenommen werden. Erst am 10. März (66 Coronafälle in Niedersachsen, 1586 in Deutschland) hatte das Ministerium angewiesen, dass Reiserückkehrer aus Risikogebieten keine Pflegeeinrichtungen mehr besuchen. Ab dem 16. März (391 Coronafälle in Niedersachsen, 7274 in Deutschland) gab es ein Betretungsverbot.
Ich frage mich ernsthaft, ob unsere Sozialministerin wirklich so dumm ist oder ob es wirklich so dermaßen unbekümmerte Pflegeheime für Demenzkranke gibt. Kein Pflegeheim wird jemanden in diesen Zeiten aufnehmen, ohne sich vorher sehr genau darüber im Klaren zu sein, wen es da aufnimmt. Kein Pflegeheim hat Not, nicht ausreichend Bewohner/innen zu finden. Möglicherweise gibt es noch Unannehmlichkeiten im Hinblick auf die Bezahlung, aber sonst?
Pflegeheime sind keine Hochsicherheitsobjekte. Jeder darf hinein- und heraus. Schließlich leben dort ja Bewohner/innen und vielen ist es noch möglich, beispielsweise einen Garten, einen Sitzplatz oder einen halboffenen Wintergarten aufzusuchen. Dazu noch Demenzpatienten, die überhaupt nicht verstehen, warum eine Tür, die immer auf ist, plötzlich nicht mehr offen steht oder die gerade deshalb nun gerade erst ihr spezielles Interesse findet.
Außerdem verlieren gerade Demenzkranke den letzten Bezug zur realen Welt, wenn sie niemand mehr besucht. Mäßiger Trubel scheint durchaus erwünscht, da es nunmal ihr Tagwerk ist, damit zurecht zu kommen und sie sich dann ganz zu Recht ins Fäustchen lachen, wenn sie es schaffen, dem Ganzen zu entkommen, indem sie vielleicht doch noch ihr eigenes Zimmer finden oder einem Pflegeden entwischen.
Aber man muss es auch mal kostentechnisch sehen. Liebe Politiker/innen, wir leben doch in einer Gesellschaft, die durch Kostenfaktoren geprägt ist. Time is Money!
Einerseits sind Angehörige, die über 2000 Euro Zuzahlung pro Monat aufbringen müssen sicher clever genug, sich von ihren in die Pflege Gegebenen fern zu halten. Anders herum leben wir in einer Gesellschaft, die nach dem Prinzip „Wirtschaft über allem“ funktioniert. Wir sind konditioniert, überall das meiste herauszuschlagen und Pflegeplätze fehlen auch. Die Rentenkassen sind leer. Wir haben zu viele Alte. Was die Bewohner/innen tatsächlich schützt, sind die motivierten Menschen, die in diesen Pflegeheimen arbeiten.
Was für eine bahnbrechende Forderung, ab sofort nur noch Bewohner/innen aufzunehmen, wenn sichergstellt ist, dass diese keinen Coronavirus einschleppen?! Ich bin zutiefst beeindruckt. Das ist wahrlich eine Regelung, wie könnte ich sie nennen? – Revolutionär!
Aus Erdwesens Sicht ist es nur ein Beispiel mehr, welches zeigt, dass noch so viel vermeintlich clevere Gesetze und Regelungen nicht originär dazu geeignet sind, Probleme wirklich zu lösen. Möchten Sie in einem Pflegeheim arbeiten, wo Ihnen gerade ein paar Flure voll mit alten Menschen wegsterben? Für so blöd kann die Politik eigentlich die Betreiber von Pflegeheimen gar nicht halten – dachte ich zumindest.
Inzwischen sind 33 Bewohner/innen des Pflegeheims gestorben :-(
Am 16.04. waren es bereits 41 Todesopfer. Danach wurde offenbar nicht mehr berichtet.