Christa Canetta: Schottische Engel, 2007 (350 Seiten)

Christa Canetta: Schottische Engel, 2007 (350 Seiten)

Eine kurze Recherche des Erdwesens zeigt wieder einmal, dass es besser ist, einfach ein Buch zu bewerten, bevor man auch nur irgendetwas weitergehendes recherchiert. In Folge erscheint dadurch nun auch das Buch in einem anderen Licht. Wenn bedeutende Schriftstellerinnen, wie hier Christa Kanitz, Bücher unter einem anderen Namen veröffentlichen, ist nach Erdwesens Einschätzung gleich vorab schon eine gewisse Vorsicht geboten.

Der Fund im Bücherschrank stand schon seit längerer Zeit im erdwesenschen Bücherregal. Die Inhaltsbeschreibung auf der Rückseite versprach eine unterhaltsame und womöglich spannende Story. Das Buch-Cover in seinem grell-kitschigen Blau und Gelbtönen mit waschechtem Castle verwies auf eher seichte Unterhaltung mit schottischen „Engelchen“. So begann denn das Erdwesen mit dem Lesen und war hochgradig erstaunt über die präsentierte nette Geschichte, denn der „schottische Engel“ erwies sich zunächst als einer aus echtem, alten Holz, erschaffen von Meisterhand.

Die Hauptdarstellerin Mary Ashton (auch einer der Engel wie sich später herausstellt) ist in offizieller Mission als Kunsthistorikerin für ein großes Museum auf der Suche nach dem dritten von drei berühmten Engeln, die einst aus einem Schiffsmast geschnitzt wurden. So reist sie zu einer Auktion, verunfallt auf dem Weg aber, weil ein schottischer Lord, der erfolgreich im Filmgeschäft tätig ist, erst in ihren Wagen hineinfährt und sie anschließend aus dem untergehenden Fahrzeug rettet. Schriftstellerisch ist das ganze keine Meisterleistung, vor allem wenn man weiß, das das Buch hier in der Originalsprache vorliegt. Es ist leicht zu lesen und eine passende Lektüre für die 10-Minuten-Fahrt in der Straßenbahn, da man nie Angst haben muss, inhaltlich etwas zu verpassen oder den inhaltlichen Anschluss zu verlieren.

Natürlich ist Mary von dem Unfall sehr mitgenommen und wird zunächst auf dem Castle des Lords von einem Mediziner betreut, um den sich seinerseits eine höchst merkwürdige Geschichte entspannt-, die aber lediglich nur das Ziel verfolgt darzustellen, mit welcher Klasse-Frau wir es hier als Hauptdarstellerin zu tun haben.

Die ganze Unfall-Sache mutet schon recht seltsam an. Man stelle sich vor, auf der A2 geschieht bei Bückeburg ein leichterer Unfall und statt einfach einen Notarzt zu rufen, um das Unfallopfer nach Stadthagen zu transportieren, landet man auf Initiative des Prinzen, der auch irgendwie auf der Autobahn fährt, auf seinem Schloss. – Vorstellbar zwar, aber doch eher unwahrscheinlich. Aber wir sind ja in Schottland und da mag es einfach anders sein. Wer mag schon Bücher lesen, die sich an wirklichen Gegebenheiten orientieren?!

Natürlich ist der Lord liebestechnisch gesehen bereits ein gebeutelter Mann mit grauen Schläfen und hat natürlich bereits Nachwuchs in Form einer 5-jährigen Tochter mit dem Namen Tatjana (Engel). Die stammt allerdings nicht von einer Russin, sondern von einer rothaarigen Schönheit (Engel) mit zweifelhaft geldgierigem Charakter. Sie nutzt ihre Tochter, um finanziell so einiges aus deren Erzeuger heraus zu pressen. Ansonsten ist der Lord natürlich so eine Art einsamer Wolf, der jedoch durch seine Arbeit immer wieder gezwungen ist, bei Bedarf in das pralle Leben zu springen. Er tut das alles aber vom Prinzip her nur, um das alte Gemäuer seiner Ahnen in Schuss zu halten. (Bei der Stelle musste das Erdwesen wirklich herzlich lachen.)

Natürlich ist er überaus hilfsbereit und versucht für die erkrankte Mary dann auch den schottischen Holz-Engel zu ersteigern. Aber der Engel wurde bereits vor der Auktion verscherbelt und steht nun gar nicht mehr zum Verkauf! Es entspinnt sich eine interessante Geschichte, bei der natürlich immer wieder das Verhältnis zwischen Lord und Mary im Mittelpunkt steht, denn eigentlich kann ja nur ein Lord der passende Ehemann für eine Kunsthistorikerin sein, die selbst aus verarmtem (natürlich unschuldig verarmtem!) Adel stammt. Dazu kommt noch ein schwedischer Milliardär, dessen Schwester, die Filmgesellschaft, Arbeiten in Hamburg und eine Fahrt nach Venedig.

Ich weiß nicht wann, aber irgendwann entgleitet die Geschichte.

Alles ist perfekt aufgebaut. Blitzklare Story, interessante Charaktere, perfekte Locations. Und trotzdem rutscht die Geschichte irgendwann ins Bodenlose.

Es ist eines der Bücher, die man ganz sorgfältig noch einmal lesen müsste, um ihnen ab einem bestimmten Zeitpunkt eine andere Wendung zu geben. Dann entstünde ein unglaubliches Werk. Aber so?

Auf das Erdwesen machte es den Eindruck, als hätte hier jemand die Geschichte sehr präzise mit viel Erfahrung vorbereitet und alles in allem auf einen guten Weg gebracht. Dann verlässt die Autorin irgendwann die Geduld und sie pampt den Rest „so gerade wie es auskommt“ zusammen. Als wäre der zweite Teil der Geschichte nur noch fertig geworden, weil sie z. B. ein Vertrag mit dem Verleger hätte erfüllen müssen.

An der Geschichte ist sicher gut, dass sie dem Leser viel Freiraum bei der Ausgestaltung lässt. Wenn 10 Leute das Buch lesen, jeder wird eine etwas andere Vorstellung davon haben. Aber je näher man der letzten Seite kommt, desto mehr missfällt das Buch. Die Charaktere, die zuerst recht stimmig beschrieben werden, verlieren an Kontur. So blafft die eigentlich eher zurückhaltende und im Leben stehende Mary dann rigoros heraus, dass sie ganz bestimmt kein fremdes Balg erziehen mag. Der Lord verhält sich ähnlich unpassend. So war es dem Erdwesen zum Schluss ganz recht, dass das Märchen so endet, wie jedes Märchen enden muss. Da haben sich zwei gefunden, mit denen zumindest ein Erdwesen bestimmt nichts zu tun haben möchte.

Das Buch „glänzt“ inhaltlich mit den feinen Wiedersprüchen, die sich in den Persönlichkeiten der Figuren spiegeln. Nachdem sich die Hauptdarsteller zweimal kurz gesehen haben, denken sie selbstverständlich gleich an Heirat. Niemand weiß, was sie in einer „Nacht der Liebe“ tatsächlich getrieben haben, denn „zum Äußersten“ ist es gar nicht gekommen. (Häh?) Obwohl das Castle das Geld des Hausherrn frisst, kann er sich natürlich jede Menge persönliches Personal leisten und sogar einen Privatjet chartern. Obwohl der Lord ein armer Kerl ist, weil er selbst im zarten Alter von 6 ins Internat gegeben wurde, so stellt er doch gleich klar, dass seine Tatjana, dieses Kind, welches er angeblich über alles liebt, spätestens mit 10 auch dorthin kommen wird, weil dies in seinen „Kreisen“ eben „so üblich“ sei. Und bis zu diesem Tag kümmert sich selbstverständlich nicht Mary um das Kind sondern eine neu eingekaufte Gouvernante. Er will Mary keinesfalls in die Rolle einer Ersatzmutter drängen! Nein, doch nicht „seine“ Mary!

Wie gesagt, zu diesem Zeitpunkt ist die Geschichte weiterhin recht spannend und kurzweilig, denn inzwischen spinnt auch Tatjanas Mutter ihre Fäden. Aus niederen Beweggründen hat sie sich an die Fersen eines eleganten Herrn, der aber nur den inzwischen aufgetauchten echten dritten Engel per offiziellem Auftrag zum Museum befördern soll, geheftet. Zu diesem Zeitpunkt fragte sich das Erdwesen bereits, wie die Autorin es schaffen will, auf den verbleibenden paar Rest-Seiten die Intrige, die allerdings zum Scheitern verurteilt ist, noch zu Ende zu spinnen. Gelöst werden können hätte die Situation durch einen heitere Partie, die alle Missverständnisse ausräumt. Die Autorin allerdings wählt die schlechteste Möglichkeit von allen: Sie lässt Tatjanas Mutter einfach im passenden Augenblick von einer Treppe stürzen! Weil der Autorin wohl klar ist, dass ein Tot nicht im Sinne der Leserschaft sein kann, begeht sie gleich auch noch den nächsten Fehler. Denn Tatjanas Mutter ist nicht tot, sondern wird vermutlich ein lebenslanger Pflegefall!

Dies führt dazu, dass der Lord sein Kind, für das er nicht einmal das Sorgerecht besitzt, sogleich mit seinem Kindermädchen aufs entlegene Schloss (ent)führt. Sein Kind hat zum Glück überhaupt keine anderen Verwandten mütterlicherseits. Es gibt nur ihn und er ist ja auch schon der letzte seiner Art. Bei der Abreise wird das Kind noch von Mary handhabungstechnisch in Angst und Schrecken versetzt, was den Lord gegen Mary aufbringt, aber andererseits: Der ist eh ziemlich durch den Wind und mit der ganzen Situation offenkundig überfordert, wenngleich dies darzustellen nicht in der Absicht der Autorin lag. Das Kindermädchen ist entsetzt, fürchtet um seinen Job und heult sich bei der zukünftigen Schlossherrin, also Mary, aus. Von Tatjana ist gar keine Rede mehr. Die kannte vorgeblich ihre Mutter ja ohnehin nicht so richtig. Warum es dann beständig nach „Mama!“ gerufen hat, bleibt der Phantasie der Leserin überlassen und schließlich wird es samt dem Kindermädchen auch auf Betreiben der Haushälterin Ihrer Lordschaft auch noch in einen bisher verwaisten Flügel des Schlosses ausgelagert, auf dass das elende Geschrei seiner Lordschaft gar nicht erst zu Ohren kommen möge.

Die Geschichtet mündet in einem einzigen menschlichen Fiasko für die Beteiligten, aber das konnte eine zu diesem Zeitpunkt bereits 79-jährige hamburgische Autorin wohl nicht mehr selbständig erkennen und so endet die Geschichte vom reinen Wortlaut her natürlich wie im Märchen.

Ein überaus ärgerliches Buch!

Ärgerlich deshalb, weil hier ein sehr schönes Thema quasi „verbrannt“ wird und im Hinblick auf die vorgebliche Liebesgeschichte nicht einmal das Niveau eines 0-8-15 Schmöker-Romans erreicht. Das Buch geht nun zurück in den Bücherschrank. Wenig emphatische Naturen mit festgefügtem Standesdünkel finden darin womöglich ihren vollendeten Lesegenuss.

Über Erdwesen

Erdwesen ist ein Erdwesen! Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Erdwesen schreibt aber auch noch in einer Reihe von anderen Foren und es gibt auch Foren, in denen sie sich so unbeliebt gemacht hat, dass sie dort heute besser nicht mehr schreibt.
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