Das ist jetzt nicht das erste mal. Nein, es ist bestimmt schon viermal passiert – oder noch viel öfter?
Beim ersten Mal, als Kyrill über uns hinweg fegte, war das Erdwesen noch ernsthaft überrascht. Da war sie mit Sack und Pack gut gelaunt beim IBIS eingetroffen, wo allerdings schon das blanke Chaos herrschte und sie erfuhr, dass keine Bahnen mehr fuhren, weil Sturm herrschte. Ach ja? Auf dem Fahrrad durch die Stadt hatte sie sich doch noch ganz wohl gefühlt?! Nunja. Vielleicht war die Strecke zu kurz gewesen und herabfallende Dachpfannen-Lawinen hatte sie quasi aus alter Gewohnheit umfahren.
Aber heute, da ist es anders. Diesmal heißt der Sturm wohl Friederike und alle sind in kompletter Aufruhr. Und wieder mal ist das Erdwesen ganz unverdrossen aus dem Haus getrottet und hat sich mit dem Fahrrad auf den Weg gemacht. Was ist schon ein Sturm? Und wie oft hat sie schon eine Motorradtour ausfallen lassen, weil irgendein Wetter-Fuzzi von schlimmstem Niederschlag quasselte?! – Das war eine der Sachen, die sich das Erdwesen als Vorsatz mit ins neue Jahr genommen hat: Ihr könnt´ mich mal!
Bei einem der wirklich echten Unwetter, die das Erdwesen erlebt hat, waren zum Schluss sämtliche Dächer verschwunden, fortan gab es keine ARD mehr und diverse Blitze hatten Apfelbäume vernichtet und ein Eisengitter mit jetzt vollständig verängstigen Tieren bestromt. Sollte alles in Brand geraten, wartete sie mit allen anderen mit den wichtigsten Utensilien im Inneren direkt vor der Haustür, um bei Bedarf in den einzigen Faradayischen Käfig zu flüchten, der weit und breit vorhanden war. Aber es war noch nicht abzusehen, ob der sich dann noch würde aus der Garage bewegen lassen, wenn eine der uralten Eichen doch nicht widerstehen konnte.
Aber was ist ein Sturm heute? Er ist eine erschreckende Anzahl von Fotos, Filmchen, Kurznachrichten und Newstickern untermalt von Martinshörnern und Blinklichtgeflimmer. Es sind Versicherungen, die schon einmal die zu erwartenden Schäden in Millionen oder Milliarden hochrechnen. Es sind Zeitungen, die Bilder abdrucken, wo eine ganze Reihe Straßenbäume sorgsam zurecht gerückt auf dem Acker niedergegangen sind. Dazu erklärt die Bahn schon einen Tag vorher, dass ziemlich sicher ist, dass sie am nächsten Tag nicht antreten wird und nur einige private Bahnen versuchen, weiterhin den Betrieb aufrecht zu erhalten und das Erdwesen bekommt eine SMS, die zum Ausdruck bringt, dass sie doch heute womöglich nicht wieder mit dem Fahrrad unterwegs sei.
Mal schauen, wieviele nachher zum Training erscheinen. Dass Erdwesen dabei sein wird, daran hegt sie bisher noch keinen rechten Zweifel. Schließlich ist sie nicht von der ÜSTRA abhängig, die gerade ebenfalls ihren Betrieb eingestellt hat. So richtig verstehen kann sie es nicht, warum alle so einen Hype daraus machen, nur weil sie eventuell mal ein paar Stunden später zu Hause ankommen als sonst. Schließlich habe ich mich gefühlt fast das ganze vergangene Jahr stets im Regen unter freiem Himmel fortbewegt, was dann im Herbst mit der unglaublichen Regenfahrt auf der A2 endete – natürlich auf einem Motorrad und nicht in einem U-Boot-tauglichen SUV.
Leute, Leute. Ich verstehe es einfach nicht mehr so ganz. Aufregen kann ich mich immer noch, wenn die ganzen Dächer runter sind und ich keinen Urlaub mehr zum Aufräumen übrig habe. Es ist mehr so eine Art Reality-Show für Euch, oder? Es ist nicht das wahre Leben? Es ist nicht Euer wahres Leben, kann es das vielleicht sein?
Das Erdwesen ist beim Training angekommen, wo sich noch eine stattliche Anzahl an Mitstreitern und Mitstreiterinnen einfand. Die Fahrt war gegen den Wind zwar recht beschwerlich, aber zurück ging es dafür umso schneller.