Suzi fehlt der Rückwärtsgang

Die arme Suzi. Es geht schon wieder weiter und dabei steht sie doch relativ knapp vor ihrer 18000er Inspektion. Jetzt kommt die kurze Geschichte von einer Japanerin, einer Deutschen und ganz vielen Türken.

Mittlerweile ertappe ich mich dabei, dass ich Suzi gelegentlich fahre wie die Ninja, nur sind wir dann insgesamt doch um einiges schneller. Zurzeit muss ich leider sehr viel fahren und so versuche ich die notwendige Strecke, die ca. 160 km lang ist, immer so schnell wie möglich zu absolvieren, was über Autobahn derzeit unmöglich ist, weil die Ausfahrten, die ich brauche, gesperrt sind. Also kutschieren wir über Land, wo ich jede Kurve mittlerweile wohl im Schlaf kenne und – tja – auch dementsprechend fahre.

Nach einem High-Speed Turn kommen wir also in einer Kleinstadt an und ich sehe mit Schrecken, dass uns da jetzt die komplette „Rundenzeit“ ruiniert werden wird, weil wir kurz nach Feierabend eintreffen. Macht ja nix! Wenn Suzi bei 195 nur noch 69° Celsius anzeigt, hat sie hier wenigstens mal die Chance, sich wieder etwas aufzuwärmen. Übrigens bin ich zur Erheiterung meiner selbst in Lederkombi mit Textiljacke gefahren und ich muss sagen: Super, wenn es draußen deutlich unter 10 Grad ist!

Wir rollen also gemütlich vor uns hin, überholen noch bei einer Ampelschaltung 5 Autos, weil wir einfach die bessere Beschleunigung haben als sich vor uns auch schon ein schleppender Stop-and-Go Verkehr in einen Mini-Stau verwandelt. Also runter vom Gas und ganz locker heran gerollt. Schön Abstand gehalten. Zum Stehen gekommen, in sicherem Abstand halb links hinter dem letzten Auto in der Reihe, weil hier ist wirklich kein Platz auf der Fahrbahn, um versetzt stehen zu bleiben.

Zwei Autos vor mir steht allerdings ein Super-Checker, der plötzlich den rechten Blinker setzt. „Wo will der hin?“, schießt es mir durch den Kopf und mir schwant nichts Gutes, denn parallel zu dem Auto vor mir befindet sich rechts eine Parklücke.

Die zuvorkommende Flachpfeife vor uns fährt einen völlig verschmuddelten Kleinwagen, aber die Rücklichter sind geputzt und – ja – sie leuchten plötzlich in strahlendem Weiß auf. Ich weiß nicht so recht, ob ich jetzt in Panik geraten soll, aber irgendwie überwiegt doch meine Wut. Was für ein Vollpfosten!!!

Ziemlich hilflos ziehe ich weiter die Kupplung, lasse die Bremse los und rudere mit den zu kurzen Beinen wild nach hinten. Scheiße, scheiße, scheiße. Mit 170 aus einer Kurve fliegen – okay: Selber Schuld!! Aber sich im Stop-and-Go die Vordergabel demolieren zu lassen – das ist etwas VÖLLIG anderes!!! – Ich bin chancenlos. Trotz Brüllen setzt der Vollpfosten zurück. Ich krieg nur noch mit, dass hinter mir noch kein weiteres Auto angekommen ist – weil: Dann hätten wir echt ein Problem.

Es bleibt mir nichts anderes übrig, als schön die Balance zu halten. Lenker schön gerade, Kupplung nur ja nicht loslassen, Bremse nicht anfassen und schon rollen wir 1, 2 oder mehr Meter zurück. Und ich flippe aus, wie man halt ausflippen kann, wenn das Auto vor einem partout nicht anhalten will und man gezwungen ist, sein Motorrad trotzdem noch schön gerade zu halten.

Irgendeiner der weiteren vier Insassen des Autos vor mir merkt, dass da irgendwas nicht so ganz richtig läuft und irgendwann schaut dann auch der Fahrer aus der Tür, den ich leider nicht am Schlavittchen packen kann, weil ich ja Suzi immer noch balancieren muss: „Du Arsch!!!“ – Leider bin ich wegen Erkältung überhaupt nicht gut bei Stimme und den Selbstverteidigungskurs mache ich auch erst diese Woche, aber um mein Motorrad zu rächen reicht es allemal. Darauf kann er sich verlassen.

Er fährt dann in die nächste Lücke – sonst versperren wir die komplette Stadt. Ich wundere mich, dass ich noch hinterher kommen kann, aber es sind ja auch nur ein paar Meter. Der Typ soll mir wenigstens seinen Namen nennen, weil in dem Moment gehe ich davon aus, dass die Gabel den Aufprall womöglich nicht besonders gut verkraftet hat. Es ist mir auch völlig egal, dass er vier Zeugen dabei hat und das – man glaubt es kaum, die halbe Türkei ruckzuck auch anwesend ist. Ich stehe unversehens 20-25 Leuten gegenüber. Alle für sich genommen ziemlich normal, aber als Rudel unnachahmlich.

Clash of Cultures. Einige haben offenkundig noch nie eine reifere Germanin in Leder-Burka gesehen, die anderen durften sich bisher nur an ihren eigenen schimpfenden Gemahlinnen erfreuen. Dann tauchen auch noch echte Motorrad-Kenner auf und bewundern die abgewetzten Reifen und wackeln an der Gabel. Eine wohl etwas zu germanisch gewordene junge Türkin behauptet natürlich, dass sie überhaupt nicht zurückgesetzt haben. War mir klar! Integration ist eben alles. Du hast es definitiv kapiert, Mädchen!! Und ein Türke, Marke „Rechtsanwalt“ und in meinem Alter schnürt 10 cm vor mir her, um mich einmal wie ein Fisch auf dem Trockenen mit offenem Mund direkt anzuschauen, aber ihm fehlen die Worte. Das hier übersteigt definitiv alles, was er sich bisher unter einer „deutschen Frau“ vorgestellt hatte. Ja, Junge. Du BIST im falschen Film und dass da ist wirklich das Motorrad, was ich fahre!! Aber ich weiß nicht, was ich ihm nun dazu sagen soll.

Der Fahrer, eigentlich ein ganz netter, verständiger Typ, steht nur wie Trottel daneben, anstatt einfach seinen Perso vorzuzeigen, damit ich mir aufschreiben kann, wer er ist und was für eine Versicherung er hat. Ich sag nur noch: „Ich krieg nie raus, wie Du heißt.“, und er nickt geistesgegenwärtig. Und irgendwie tun wir uns wohl gegenseitig leid und irgendwie bin ich mit der Situation auch völlig überfordert und rufe die Polizei, die in Rekordzeit vor Ort ist und auch sofort weiß, was ich meine mit „Mir steht hier gerade ein Clan gegenüber.“, weil: das ist in dieser Kleinstadt schon beinahe alltäglich und ich weiß, dass die mittelalten und älteren Bewohner deswegen nach Geschäftsschluss überhaupt nicht mehr in die Innenstadt gehen und lieber in den Dörfern bleiben.

Leute. – Die Kleinstädte von heute sind einfach nicht mehr das, was sie mal waren. Nachdem die Polizei die Personalien von uns Fahrern festgestellt hat und sich dann an das Erfassen der übrigen macht, bin ich entlassen, um festzustellen, ob die Gabel noch okay ist oder nicht. Wenn nicht, dann melde ich mich wieder bei der Polizei und sonst ist es ein Fall für die Akten. Wird nichtmal als Unfall vermerkt.

Ich bin den weiteren Weg nach Hause echt gekrochen, aber die Gabel hat offenkundig nur so viel abbekommen, wie sie auch vertragen kann. Aber meinem neuen Rundenrekord, dem hat es definitiv geschadet und mir tut sich immer noch die essentielle Frage auf: Warum muss man sich so zusammenrotten für fast nix?

Über Erdwesen

Erdwesen ist ein Erdwesen! Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Erdwesen schreibt aber auch noch in einer Reihe von anderen Foren und es gibt auch Foren, in denen sie sich so unbeliebt gemacht hat, dass sie dort heute besser nicht mehr schreibt.
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