Da ich mir bisher nur sehr spontan und vollständig fasziniert eine Speedweek in Oschersleben angeschaut hatte, wollte ich es nun auch mal – in gemäßigtem Tempo selbst versuchen. Also habe ich mich bei der Institution in diesem Bereich – „Doc Scholl“ – angemeldet und Suzi und ich haben uns auf den Weg zum Kurventraining gemacht. Am Ziel angekommen, sah Suzi fast aus wie eine Enduro, die gerade aus einem Matschloch wieder aufgetaucht ist, aber zwei Tage später, als es auf die Strecke ging, war wieder bestes Wetter und der Schmutz der Straße bis zum Tag unserer Rückreise vergessen.
Am Vorabend des ersten Trainingstages wurden wir an der Motorsportarena vorstellig. Uns erwartete eine unendliche Schlange vorm Eingang zum Fahrerlager und ich erkundigte mich bei den Wartenden, ob man sie hier draußen vergessen hätte oder was sie angestellt hätten, dass sie nicht rein durften. Es handelte sich alles um Leute, die sich bereits vorm Hotel zum Technik-Check begeben hatten. Da der Technick-Check mein Ziel war, fuhr ich also als Nicht-Hotelbucherin ebenfalls dorthin und erhielt in Null-Komma-Nichts meine Anmeldeunterlagen und ein T-Shirt. Als die Nummern dann vorschriftsmäßig angebracht waren, gab es vorm Hoteleingang immer noch eine Schlange. Justamente in dem Moment an dem ich vorfuhr, löste sich das ganze in Wohlgefallen auf und alle Leute des Orga- und Technik-Teams waren urplötzlich verschwunden. Nur Doc Scholl versicherte mir im Vorbeigehen, dass alle gerade dabei waren jetzt zu den Boxen umzuziehen.
Das tolle an Oschersleben ist, dass anscheinend jeden, den man trifft, begeistert ist von dieser Rennstrecke. Die Pförtner sind hoch motiviert, die Tankstellenbetreiber sind begeistert, im Supermarkt wird man nicht angemacht, weil man vergessen hat, sein Obst auszuwiegen. Die Streckenposten sind immer guter Laune und die Leute, die man in den nahen Dörfern trifft, finden die Raserei einfach nur klasse – und das obwohl der Lärm der Anlage noch 8 km weiter allzu deutlich zu hören ist! Das erstaunlichste aber ist, dass es in der ganzen Gegend niemanden zu geben scheint, der mit überhöhter Geschwindigkeit eine Straße entlang rast und wirklich schlechte Autofahrer scheint es auch nicht viele zu geben.
Im Fahrerlager war noch immer ein mittelprächtiges Chaos angesagt, da die IDM-Autofahrer noch ihre letzten Fahrzeuge wegräumten. Nach einiger Zeit war die komplette Doc Scholl-Crew wieder einsatzbereit und Suzi bekam den begehrten Aufkleber für den bestanden Check und es ging zurück nach Groß Germersleben.
Bei unserer Herberge angekommen, begrüßte uns wie jedes mal, Kater Anton bereits hinter dem Hinterreifen sitzend, während ich gerade erst den Helm und Handschuhe auszog. Sogar die Katzen hat das Rennfieber erwischt, weil das ewige Wandern entlang der Bode vielleicht doch auch einmal etwas Abwechslung vertragen kann.
Am nächsten Morgen wurde es dann ernst. Während der Fahrerbesprechung wurden wieder Aufkleber verteilt. Ohne Aufkleber keine Einfahrt auf die Strecke, aber Suzi wartete schon geduldig an unserer Gruppennummer. Die Gruppen wurden sorgsam im Fahrerlager auf einer frei gehaltenen Parkfläche platziert und starten jeden Turn von genau dieser Position aus und kehrten nach jedem Turn auch genau dorthin wieder zurück. Die Organisation war sehr übersichtlich und gut und schon bei der Fahrerbesprechung wurden die Instruktoren vorgestellt. Unserer sah doch eigentlich ganz gutmütig aus… irgendwie kam der mir auch bekannt vor…
Unsere Gruppe bestand aus 2 Frauen und 4 Männern und in fast jeder anderen Gruppe waren unendliche viele GSX-R in allen Varianten anzutreffen. Das war wirklich ein schöner Anblick! In meiner Gruppe fanden sich noch eine Suzi 650VR, eine Ninja ZX6 BJ 1998 und eine ebenfalls etwas ältere GSX-R 750. Unser Instruktor selbst fuhr eine GSX-R 750 K8. Eine bayerische Street Triple sowie eine offenbar sehr neue Ducati 1200 vervollständigten das Bild. Die Spiegel wurden abmontiert oder abgeklebt. – Die lenken ab.
Der erste Turn offenbarte, dass das Fahrkönnen der Gruppenmitglieder doch recht unterschiedlich ausgeprägt war. Die beiden langjährigen Kumpel auf der Ninja und der SV fuhren selbst auf der Strecke noch mit dem typischen Tourenversatz, der mehr Sicherheit garantiert und auch der Rest von uns zeigte einigermaßen eigenwillige Interpretation von „Linie fahren“. Aber unser Instruktor entpuppte sich – wie bei ihm nicht anders zu erwarten – als wahrer Geduldsengel. Wenn ich mich recht erinnere waren wir alle, bis auf unseren Jüngsten, der sich hier schon mit seinem Vater hatte messen müssen, neu auf dieser Strecke und so war das erste Ziel, zunächst einmal die Instruktoren-Linie möglichst genau nachzufahren.
Unserem Ducati-Fahrer waren wir allerdings zu langsame, so dass er in eine schnellere Gruppe wechselte. Den frei gewordenen Platz übernahm eine sehr jungen Dame mit Rennfahrer-Gen. Sie hatte ihre KTM 125, für die sie tatsächlich schon einen Führerschein besaß, in der langsamen Gruppe stehen gelassen und von jemandem einen leichten, aber leistungsstärkeren Stoppelhopser (!) zum Weiterüben angeboten bekommen. Als ihr Ex-Instruktor schon andeutete, dass sie uns damit wahrscheinlich wegfahren würde, mussten wir uns als ältere Herrschaften wohl oder übel ins Zeug legen, woraufhin unsere Street Triple-Fahrerin in eine andere Gruppe umzog und der damit frei gewordene Platz abermals von unserem Ducati-Fahrer belegt wurde, dem die schnellere Gruppe dann doch zu schnell gewesen war.
Entlang der Strecke markierten zum ersten Mal bei dieser Veranstaltung Hütchen die ensprechenden Blick- und Einlenkpunkte. Nach dem dritten Turn hatten wir alle genug Muße, diese Hütchen dann auch entsprechend zu würdigen und so langsam zu einer etwas einheitlicheren Linie zu gelangen. Unser Stoppelhopser brachte zusätzlich Linienruhe in die ganze Angelegenheit. Ich hielt mich an die 750er und die Ninja, da insbesondere die Ninja absolut routiniert unterwegs war, während der junge Fahrer auf der GSX-R 750 unbedingt bemüht war, sein Bike garantiert nicht zu ruinieren und trotzdem immer besser fahren zu lernen.
Am Abend des ersten Tages hatte ich aufgrund des strikten Zeitplans und der perfekten Organisation bereits einige Leute aus anderen Gruppen kennen gelernt und beim abendlichen Würstchengrillen mit der kompletten Truppe konnte jeder wieder mit jedem ins Gespräch kommen. Ich durfte dann sogar auf der Harley Road King Platz nehmen, die später dann aber doch noch zielgerade und ohne einen einzigen Kratzer in den Kies gefahren wurde.
Der nächste Tag startete so ruhig wie der erste geendet hatte. Alles war übersichtlich und unser Geduldsengel-Instruktor vermittelte ganz nebenbei die obligatorische Theorie und versuchte jeden einzeln bei der Bewältigung von streckentrechnischen Problemzonen so gut wie möglich zu unterstützen. Alles hätte so schön werden könnnen…
Ich war hinter dem Instruktor, hinter mir der Stoppelhopser, da ich deutlich besser fuhr, wenn ich immer ein ähnliches Bike als Beispiel vor mir hatte. Da krachte es in einer Kurve hinter uns mächtig – natürlich ohne das wir zwei vorne das überhaupt bemerkt hätten. Keine Ahnung wie, aber die Ducati hatte die Kurve nicht gekriegt, schien irgendwie hängen geblieben zu sein und die SV krachte in Folge dann wohl auch noch in die Ducati und scheiterte ebenso in der Kurve. Übrig blieben der Ninja und der GSX-R 750 Fahrer, die mit ansehen mussten, wie die Fetzen flogen. Die Ducati hatte einen üblen Rund-um Schaden inklusive zusammengeschobener Gabelbrücke, die SV bekamen wir gar nicht mehr zu sehen, weil sie sofort verladen wurde.
Der Ducati-Fahrer blieb zunächst einmal verschollen bei den Medizinern, hatte aber letzten Endes doch „nur“ eine – offensichtlich sehr, sehr ordentliche – Schulterprellung und brachte angesichts des komplett ruinierten Bikes sprechtechnisch nicht mehr viel heraus.
Zu viert ging es also vorerst wieder auf die Piste. Für einen Instruktor ist es eine unschöne Sache, in einem Turn gleich zwei Schützlinge in den Kies gehen zu sehen. Von daher machten wir erstmal ganz, ganz langsam. Schon beim nächsten Turn erlebten wir allerdings eine Überraschung. Der SV-Fahrer hatte trotz dickem Knie seine Lederkombi wieder anbekommen und fuhr den Turn auf der Ninja seines Kumpels, der ein Päuschen einlegte. Das nenn ich mal ‚hart im Nehmen‘. Kommentar: „Ich hab zu Hause noch eine 650SV! Ich mache dann aus beiden wieder eine…“ und los gings. Ich hatte den Eindruck, dass sogar unser Instruktor erstmal etwas schlucken musste. Er hatte den Crash in seinem Rückspiegel gesehen.
Zu uns gestoßen war inzwischen auch eine Hayabusa, deren Fahrerin ihren Männern „mal etwas mehr Freilauf“ lassen wollte und zudem nicht davon abgeschreckt wurde, dass wir ja schon ordentlich Verluste zu beklagen hatten. So lernten wir auch noch die Mitglieder einer zügigeren Gruppe kennen.
Nach der Mittagspause hatte Doc Scholl wohl mittlerweile das Drama mit dem Stoppelhopser auf der langen Geraden mit angesehen. Es sieht einfach ziemlich blöd aus, wenn gut aussehende, aber womöglich mäßig gefahrene Supersportler unterwegs sind und dazwischen ein kanariengelber Dreckspritzer professsionell beturnt wird. Also stellte er unserer Rennfahrerin kurzerhand seine eigene 600er Triumph zur Verfügung. Wir konnten es nicht fassen, unser Instruktor auch nicht. Aber nachdem ein weiterer Instruktor Reifendruck geprüft und ihr und dem „erziehungstechnisch Verantwortlichen“ auch nochmal die abgewetzten Reifen gezeigt hatte, nahm sie die Chance wahr. Immerhin dauerte es genau die zwei Kurven aus der Boxengasse heraus auf die Strecke, bis sie den Hobel im Griff hatte. Zum Ende der ganzen Veranstaltung tauchte dann auch noch ihre vor Freude stolz strahlende Oma mit dem Rollator bei uns auf.
Wenn ich also nochmal in einem Forum lese: „Ich werde nächstes Jahr 18 und bekomme dann ja auch den Führerschein und ich kann mir dann endlich ein richtiges Bike kaufen: Meint Ihr dass eine 1000er Fireblade okay ist oder soll ich doch lieber eine ZX10-R nehmen? Ich muss sie natürlich drosseln…“, dann werde ich nie mehr irgendwelche Bedenken äußern und es anderen überlassen, ob sie statt dessen doch eher die GSX-R 1000 empfehlen.
Mittlerweile hatte sich von unserem Instruktor vorgestellte Theorie auch fest in meinen Gehirnskasten gegraben. Ich hab es mir folgendermaßen gemerkt: Du hast nur 100% Aufmerksamkeit zur Verfügung und die musst Du Dir auf einem Turn gut einteilen, damit es reicht. Sobald Du einen Teil begriffen ist, kannst Du Dein Guthaben an Aufmerksamkeit zum nächsten Teilbereich umschichten. Wenn Du wiederum den verinnerlicht hast, dann kommt der nächste Teilbereich. Wenn Du das nur lange genug machst, dann kennst Du irgendwann die Strecke bzw. erreichst auch die gesteckten Ziele. – Tatsächlich hat das jemand von einer amerikanischen Rennschule erfunden und der redet auch nicht von 100% Aufmerksamkeit, sondern von 10 Dollar Aufmerksamkeit, die man maximal aufwenden kann. Aber ich fahr halt nicht gerne auf Kredit ;-)
Diese Denkweise war jedenfalls für mich sehr hilfreich während der ganzen Veranstaltung, da die individuellen Ziele der einzelnen Turns so klar definiert waren, was ich im Nachhinein etwa so festhalten würde:
1. Hinterherfahren.
2. Sauber hinterherfahren.
3. Hütchen wahrnehmen.
4. Hütchen beachten und entsprechend einlenken, herausbeschleunigen.
5. Abfolge der Strecke verinnerlichen.
6. Nacheinander einzelne Besonderheiten des Streckenabschnitts verinnerlichen.
7. Problematische Streckenabschnitte erneut bearbeiten.
8. Strecke besser zusammenfügen…
9. …
Das hat mir mehr gebracht als alle möglichen physikalischen Grundlagen, die in der Praxis oft schon so selbstverständlich sind, dass es eher stört, wenn man immer wieder einen „Lenkimpuls“ aufdröselt, den man in der Theorie dann sowieso wieder schnell vergessen hat.
Insgesamt war das außerdem die lustigste Gruppe, die ich bisher bei einem Training getroffen habe. Und ich habe mich auch noch nie so dermaßen geärgert, dass ich es immer wieder schaffte, mich durch irgendwelche Unpässlichkeiten oder möglicherweise lauernden Gefahren abhängen zu lassen! Von daher war das ein sehr cooles Training ohne dass ich jemals Todesangst ausgestanden hätte, weil ich im Zweifelsfall beim Rausbeschleunigen einfach so wenig Gas gegeben habe, dass ich langsam aber eben auch ohne Not noch rum komme und das Notbremsen wegen zu viel Schub in Kurven hinein habe ich nun demzufolge auch ausreichend geübt. Der Oschersleben-Kurs ist einer, den man auch in relativ kurzer Zeit einigermaßen erlernen kann und wo man bei sich selbst auch an zwei Tagen deutliche Fortschritte beobachten kann. Zwei Instruktoren waren der Meinung, dass meine Schräglage nun so hoch ist, dass es jetzt notwendig ist, doch mal mit Hanging-Off anzufangen. – Mal schauen… in meinem Alter??