Roethe, T.: Arbeiten wie bei Honecker, leben wie bei Kohl (1999, 190 S.)

Roethe, Thomas: Arbeiten wie bei Honecker, leben wie bei Kohl – Ein Pladoyer für das Ende der Schonfrist, 1999, 190 Seiten

Wiedermal griff das Erdwesen zu einem Fund aus dem hiesigen Bücherschrank. So findet man Bücher, auf die man sonst womöglich niemals gestoßen wäre!

Das durchweg herzerfrischende Buch für jeden Besserwessi macht die hoffentlich irgendwann folgenden Motorradtouren in Richtung Dunkeldeutschland gleich viel erhellender, kann man denn auch heute noch direkt neben wunderhübsch restaurierten historischen Gebäuden heruntergekommene Baracken finden, in denen sich erinnerungswürdige Geocaches finden lassen, sofern man als leistungsbessesener Wessi nicht davor zurückschreckt unter Einsatz des eigenen kapitalistischen Lebens mutig durch gigantische, aber stark einsturzgefährdete Hallen zu schreiten…

Roethe zeichnet für ein typisches Kind der BRD so untypisches Bild des Ostens, dass das Erdwesen mit einem ungewöhnlichen Befremden feststellen musste, über derlei Dinge noch niemals so richtig soziologisch nachgedacht zu haben. Nun aber, wo er es so eindrücklich beschreibt, sind es doch sehr eingängige Überlegungen! Und sie passen sogar zu meiner Lieblingsarbeitskollegin, die auch dorther stammt. Wir haben uns so dermaßen gefetzt, weil sie einfach nicht bereit war, etwas ordentlich und zeitnah zu erledigen! Dabei ist das bei ihr einfach die kulturelle Vererbung zur Faulheit!!

Um es kurz zusammen zu fassen: Die Ostdeutschen kamen per Unterschrift von einem gemütlichen Gesellschaftssystem, in dem sie sich schamlos aus dem Vorrat der Güter der Allgemeinheitsproduktion bedient haben, in das kapitalistische System der BRD. Dabei war ihre vorgebliche Zivilcourage (Wir sind das Volk) nur dadurch bedingt, dass es dort einfach keine Güter mehr gab, die man sich hätte aneignen können. Da der Westen aber voll davon war, war es am einfachsten, dem Westen zu zeigen, dass man nun teilhaben wolle (Wir sind ein Volk).

Leider funktioniert das Westprinzip aber anders. Wenn man etwas haben will, dann muss man es sich erarbeiten. Da die Ostdeutschen das nicht auf Anhieb begriffen haben, haben sie zuerstmal ihr Erspartes eingesetzt, um sich endlich vernünftige Westautos zu kaufen. Irgendwann war das Ersparte weg und alle wunderten sich, warum denn nun das Arbeitslosengeld nicht reicht, um ordentlich die Reisefreiheit zu genießen!

Also eigentlich sind alles einfach nur riesige Misverständnisse! – Gut, manchmal resultieren aus diesen fürchterliche Schicksale für Menschen mit Migrationshintergrund (oder zufälliger Anwensenheit) im Osten der Republik und manchmal begreifen auch die Westler nicht mehr, was die Ostler mit dem ganzen Geld machen, was man ihnen zukommen lässt, aber sonst – äh – ist eben das meiste auf die kulturell-politische Prägung im Osten zurückzuführen, dass sich dort nichts tut, es sei denn, ein leistungsbessessener Westler packt es an.

Die Beispiele, die Roethe aus eigenen Reisen in den Osten schildert, sind frappierend. Um des eigenen Vorteils willen wird ein auf öffentlicher Stelle stehender Flieder zum Muttertag geplündert, bis er fast eingehen muss. Etwas selbst mit den eigenen Händen zu tun ist verpönt, lieber hockt man sich vor den Fernseher und wartet darauf, dass das Gute vom Himmel fällt und die Arbeit zum Aufbau Ost von anderen (z.B. Polen) erledigt wird. – Dem Erdwesen fiel spontan ihr Erlebnis in Oschersleben ein, als sie sich mit Reiseprviant bevorratete, der aus einem deutsch-demokratisch gewachsenen Mirabellenbaum resultierte, den anscheinend überhaupt niemals jemals würde jemand abernten wollen, weil das Einkochen eben doch einige Mühe macht.

Aber noch etwas viel schlimmeres entlarvt Roethe durch seine eigenen Beobachtungen, denn der Ostler, der früher angeblich ja alles tat, um seinem Nachbarn zu helfen, hat eben dies aus Güte und Mitgefühl niemals getan. Es ging allein darum, durch Tauschgeschäfte einen eigenen Vorteil herzustellen. Was wurde getauscht? – Das, was eigentlich die Waren gewesen wären, die allen hätten zum Kauf zur Verfügung stehen sollen. Es ging also niemals darum, jemand anderem wirklich etwas Gutes zu tun, sondern es ging einzig darum, den eigenen Vorteil zu sichern. Dass bei diesen Aktionen die Unterscheidung zwischen „mein“ und „Dein“ nicht mehr berücksichtigt werden konnte und heute dieser moralische Aspekt auch gar nicht mehr nachvollzogen werden kann, ist ein Nebeneffekt der 40 Jahre währenden Prägung durch das „System“. Die Produktionsbetriebe der DDR waren quasi ein Selbstbedienungsladen für die Mehrheit der Bevölkerung. Der, der moralische Skrupel hatte, war im Nachteil, da von der Produktion kaum noch etwas überhaupt in den normalen Warenverkehr gelangte, um gekauft werden zu können.

In den Schlusskapiteln gelangt Roethe zu der Erkenntnis, dass Ost und West sich angleichen werden. Warum? Der Westen könnte die östliche Mentalität übernehmen. Und wenn ich das so heute vergleiche – 15 Jahre später – dann kann ich nur sagen: Ja, genauso ist es gekommen. Das Land hat sich absolut verändert. Es zählt nicht mehr Leistung, ja es besteht nichtmal mehr der Hauch einer Chance, es durch Leistung zu irgendetwas zu bringen. Nur der, der keine Skrupel hat, kann sich gemütlich zurücklehnen und die Früchte der Arbeit anderer ernten. – Ganz so wie meine Kollegin, die sich lediglich dann aufs äußerste belästigt fühlt, wenn ich diesen Zustand kritisiere. – Ich, Besserwessi.

Über Erdwesen

Erdwesen ist ein Erdwesen! Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Erdwesen schreibt aber auch noch in einer Reihe von anderen Foren und es gibt auch Foren, in denen sie sich so unbeliebt gemacht hat, dass sie dort heute besser nicht mehr schreibt.
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