Ein nagelneues Buch zum Thema Verkehr.
Jahrelang gehörte das Erdwesen selbst zu den Pendlern. Jahrelang beschäftigte es sich mit Verkehrsgeographie und Verkehrssoziologie. Aber: das war fast alles im letzten Jahrtausend! Da sollte man meinen, inzwischen hätten sich bahnbrechende neue Erkenntnisse am wissenschaftlichen Horizont abgezeichnet. Wer sich jedoch solches von diesem Buch erhofft, wird herb enttäuscht. In wortreichen, gut formulierten, schnell zu lesenenden Tiraden, bringt der Autor wohl Bekanntes und ergänzt es durch aktuelle Daten zum Pendlertum.
Schön zu lesen, das Pendeln für einen Menschen die Hölle auf Erden ist, die er sich selbst schön redet. – Aber gibt es dieses nicht auch in ganz anderen Bereichen? Verschwenden wir nicht alle sehr viel Lebenszeit bei langweiligen oder stressigen Jobs?
Gut, Gewissheit zu erlangen, dass es vermutlich deswegen so viele schwarze, graue oder gelegentlich sogar weiße Autos gibt, weil die meisten davon als Dienstwagen ihren Anfang nehmen und noch hübscher zu erfahren, dass der Herr Tatje offenbar gleich um die Ecke vom Erdwesen zu Hause ist. Vielleicht begegnet ihm ja das Erdwesen im Rewe – oder was wahrscheinlicher ist – am Bahnhof?
Dieses Buch braucht niemand zu lesen, der sich bereits vor 10 oder gar 20 Jahren mit dem Thema Verkehr beschäftigt hat. Sämtliche damaligen Prognosen wurden wahr oder haben sich als noch wahrer herausgestellt als für wie man sie einst gehalten hat.
Pendler vergeuden ihr Leben und – und das wird in dem Buch viel zu wenig thematisiert – sie vergeuden auch das Leben ihrer Lebensgefährten und Kinder, die nur noch genauso zu funktionieren haben, wie der straffe Zeitplan des Pendlers es vorgibt. Oder ist es gar nicht der Zeitplan des Pendlers, der hier der Kern des eigentlichen Übels ist?
Das Manko an Tatjes Buch ist, dass er keine Schlussfolgerungen zieht. Da beschreibt er wie Pendler Stress aufbauen und wie welche Charaktere diesem Stress entgegen treten und welche Auswirkungen der Stress bei diesem oder jenen hat. Die Schlussfolgerung, unser eigenes Leben zu überdenken, die zieht er nicht in Betracht. Ja, sie existiert für ihn nicht einmal im Ansatz.
Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin!
Stell Dir vor, Arbeitgeber verlagern Standorte und kein Angestellter zieht mit!
Tatje ist alles andere als ein Revolutionär. Deshalb hat er selbst es wohl auch bis nach Brüssel gebracht. Der Gesellschaft helfen wird er damit nicht, ja nicht einmal den Pendlern.
Konsequent meidet er neue Untersuchungen, die belegen, dass junge Menschen, die sich derzeit wieder einen Job aussuchen können und die nicht mehr als „Generation Praktikum“ in die Statistik eingehen werden, eine andere Lebens- und Arbeitswelt bevorzugen. Nur Wahnsinnige oder vollständig unterprivilegierte werden sich in Zukunft derart drangsalieren lassen, wie es immer noch Tatjes beinharte Realität ist.
Irgendwie war es nur die logische Schlussfolgerung, gleich inter Taatjes reißerischem Titel lesetechnisch auch noch die Darstellung des Methusalem-Komplotts zu schieben. Alte Menschen – wohlgemerkt – alte Menschen im Geiste – sehen das Hier und Heute und prognostizieren die Zukunft. Da darf man eigentlich gar nicht erst gespannt sein.