Der zweite dOCUMENTA-Besuch sollte schneller kommen als geplant, aber Dank des Kulturtickets für 39 Euro hin und zurück im ICE war er dann auch noch halbwegs erschwinglich und zeitlich machbar, da der Nahverkehr etwa dreimal so lange braucht.
Ziele waren zunächst die Neue Galerie, dann eine Wanderung durch die Karlsaue und abschließend noch ein Besuch der Orangerie.
Der Andrang in der Neuen Galerie, in der das Erdwesen wahrscheinlich bisher noch kein einziges mal gewesen ist (??), war unglaublich. Binnen Minuten strömten hunderte von Leuten in das Gebäude, bis man sich ein „Wahrnehmen“ der Kunswerke im Grunde genommen, einfach nicht mehr möglich war. Beim Herausgehen war die Schlange dann auch endlos und obwohl Leute hinaus gingen, wurde niemand mehr hinein gelassen. Ich nehme mal an, das Gebäude war einfach schon viel zu bevölkert. Da kann man keinen klaren Gedanken mehr fassen. Im Innern war die Präsentation in einigen Fällen dann auch wirklich „daneben“. Im „Gerichtssaal“ [1] wollte partout kein Gedanke an nichts aufkommen und beim Eintreffen der Massen, machte sich die Dolmetscherin dann auch erstmal langsam quatschbereit. Was für ein armseliger Arbeitsplatz: einen italienischen Gerichtsprozess simultan übersetzten – und das in einem Durchgangsraum eines Museums.
Das Schnippselkunstwerk auf Strohhälmen [2] zog die Masse in seinen Bann, so dass es dem Erdwesen ausreichte, nur einen seitlichen Blick darauf zu werfen.
Beieindruckend hätten die großformatigen Aboriginee-Kunstwerke [3] sein können, wenn sie nicht nur eine Kopie von den Miniaturen von [4] gewesen wären. Wo ist hier bitteschön die künstlerische Leistung?! Dazu unpassend gesellte sich ein Raum im Raum, in dem ein Schreitraining zur Stressbewältigung abgehalten wurde, aber gerade nur per Video im Gange war.
Die Esel-Revolutionäre [5] standen dicht gereiht in ihrer Vitrine, aber im Prinzip herrschte hier nur noch dickes Gedränge, so dass auf die wirklich hässlichen Farbflächen [6] ebenfalls ein Seitenblick reichen musste. – Noch niemals habe ich ein solch volles Museum gesehen!!
Interessant, wenngleich auch wegen zunehmender Masse nicht näher anschaubar waren die afrikanischen Portraits [7], aber danach ging es dann auch gleich schon in den Keller, wo sich – man glaubt es kaum (!) – noch mehr Menschen sammelten. Die Präsentation im Keller mit den gut beobachteten Situationen wäre gut gewesen, hätte ich nicht im Nachhinein gelesen, dass der „Künstler“ [8] hier lediglich ein entsprechendes Buch auseinandergeschnippelt und gerahmt hatte! Das hätte jedes Kindergartenkind ebenso gut hin bekommen.
Der Schocker (fast ohne Luft) kam dann in Form von zwei Videos und zwischengeschalteter Collage von Marionetten aus dem arabischen Kulturraum [9]. Da wurde mir dann schmerzlich bewußt, dass man manchmal gut daran tut, keine Stellungnahmen zu Ausstellungen zu lesen, bevor man sie sich selbst angeschaut hat. Ja, diese dOCUMENTA brachte alles zusammen und vieles davon kann sich einem nicht erschließen, weil man beispielsweise die Historie Arabiens überhaupt nicht im Kopf hat.
Ehrlich, es fällt mir schwer, hier ein einziges Kunstwerk zu benennen, welches herausragte. Wahrscheinlich ist es wirklich die Collage auf Strohhälmen. Die hat wenigstens ordentlich viel Arbeit gemacht!
Nach diesem Gewusel tat es gut, sich erstmal an der frischen Luft zu erholen, aber die Kunstwerke in der Karlsaue möglichst passgenau ausfindig zu machen, ist nicht ganz so leicht, wenn man sich überhaupt nicht auskennt. Auch hier war es erstaunlich, wievieles eben nicht positiv auffällt. Eine Zeitbank [10] ist im Zeitalter von Tauschringen wohl nur für Künstler ein neuer Gedanke. Und bei den anderen Kunstwerken? Nachdem ich beim ersten Besuch den Bronzebaum mit Stein bestaunt hatte, wähnte ich mich schon bei der nächsten Skulptur in Münster, die ja erst in 5 Jahren wieder stattfinden wird, aber mit diesem Auftakt war es dann auch schon, bis auf den Angstgeist [11] schnell wieder zu Ende. Weder die Galgenparade [12] noch das orientalisch anmutende Zelt [13] mit dem durchaus ernsten Hintergrund konnten mich nachhaltig beeindrucken. Eine Documenta ist eben doch keine Skulptur! Und irgendwie wirkt das ja auch ein wenig beruhigend :-)
Schade ist, dass in der Karlsaue zahlreiche Kunstwerke zu finden sind, die nicht notwendigerweise die Aue als „Ausstellungsraum“ gebraucht hätten. So kann man nur mutmaßen, dass alle anderen geschlossenen Räume wohl schon zu voll waren und man sich so halt mit Gartenhäuschen behelfen musste. Schade das davon auch das Vietnam-Projekt [14] betroffen war. Das war wirklich etwas neues für mich. Motivation für einen Krieg durch den massiven Einsatz von Künstlern. Eine sehr gute Dokumentation mit unendlich vielen präzise angefertigten Portraits. Künstler als Soldaten für das Vaterland.
In der Orangerie wurde es dann noch einmal noch voller! Zeit, sich noch um Einzelheiten zu kümmern blieb nicht. Maschinen und Bilder von Herrn Zuse waren natürlich toll anzuschauen. Genial war aber vor allem ein Gerät, was vermutlich immer in der Orangerie zu finden ist. Man legt dort die links Hand auf eine Metallplatte und die rechte wahlweise auf Metallplatten aus unterschiedlichen Arten von Metall (Eisen, Kupfer, …). Dann wird irgendetwas elektrisches gemessen, was vom eigenen Körper ausgeht.
Da das Erdwesen ja gerne experimentiert, musste sie das einfach ausprobieren, wenn schon alle anderen daran vorbeiliefen. Die ersten beiden Versuche waren okay und die Skala zeigte zuerst einen Wert von jeweils 10 an. Als das Erdwesen sich dann jedoch wirklich konzentrierte, kletterte der Wert auf sagenhafte 20! Das kann ich noch toppen, dachte ich mir und probierte die dritte Variante. Hier schlug die Nadel in die entgegengesetzte Richtung, verharrte bei ca. 20, aber mit enormer Konzentration stieg sie in windeseile auf sagenhafte 50! – Das rief zwei andere Frauen auf den Plan. Die eine streckte mutig ihre Hände auf die Apperatur, aber beiden waren sichtlich enttäuscht. Bei Ihnen war so gut wie kein Ausschlag zu erkennen und dass man ihn offensichtlich selbst in die Höhe treiben kann – wodurch auch immer – kam ihnen nicht in den Sinn. Leider musste ich dann auch schon wieder weiter, aber irgendwie wird sich schon herausfinden lassen, was das eigentlich für eine Messung war!
Das Highlight in einem oberen Stockwerk war dann die dringend benötigte Toilette, aber bei den Besuchern äußerte sich schärfster Unmut, weil das Planetarium plötzlich außer Betrieb genommen war. Wahrscheinlich war es einfach zu voll. So ein permanente Trubel muss jeden innerlich komplett mitnehmen.
Damit schien der Ausstellungsbesuch zunächst einmal beendet, wäre da nicht noch die finnische Dokumentation über den Bau eines Atomkraftwerkes gewesen [15]. Der Filmer schafft eine unheimliche Atmosphäre, auch wenn man während des Zuschauens wegen Luftmangel im Vorführraum fast nicht mehr atmen konnte. In jedem Falle war dieses „Kunstwerk“ beeindruckend, wenngleich auch nicht herausragend.
Und das beeindruckenste „Nicht-Kunstwerk“? Natürlich der Bioladen in der Karlsaue: Nirgends gabs so billig beste Getränke, Früchte, Gemüse und Quiche wie hier!
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[1] Rosella Biscotti
[2] Geoffrey Farmer, bekannt durch „art Spezial“
[3] großformatig: Gordon Bennett
[4] kleines Original: Margaret Preston
[5] Sanja Ivekovic
[6] Andrea Büttner
[7] Zanele Muholi
[8] Roman Ondák, der das Buch nie korrekt zitierte
[9] Wael Shawky
[10] Julietta Aranda + Anton Vidokle
[11] Apichatpong / Weerasethakul
[12] Sam Durant
[13] Robin Khan & La Cooperativa
[14] Vietnam-Projekt von…
[15] Mika Tanilaa und das Atom