Man bekommt mich nicht leicht dazu, mich mit solchen Themen zu beschäftigen, aber den Kopf voller Halbwahrheiten, fand ich es es notwendig, mich noch einmal damit auseinanderzusetzen. Und tatsächlich konnte ich einige Aussagen, die ich schon zu den medizinischen Versuchen von Auschwitz gehört hatte, glückerweise in das Reicht der Mythen verweisen. Das was ich gehört hatte, waren fürchterliche Greueltaten von Bestien. Das, was nach Hans-Joachim Lang tatsächlich geschehen ist, sind ebenfalls Greueltaten, aber immerhin (…) haben sie ein medizinisches oder „völkisches“ Deckmäntelchen.
Das was mich an dem Buch fasziniert hat, waren die folgenden Tatsachen: Schon beim Kauf hatte ich mir gedacht, dass dies womöglich ein Buch ist, welchees ich nicht zu Ende lesen werde. Ich hatte mit einem Effekt, ähnlich dem im Kino gerechnet. Wenn ich nicht mehr hinsehen mag, halte ich mir die Augen zu und frage einen verlässlichen Menschen, wann ich weiterschauen kann. Beim Lesen geht dies ganz so einfach freilich nicht und so hätte ich einfach aufgehört mit dem Lesen, das Buch zugeklappt und verkauft.
Zu meiner Überraschung blieb der Effekt aber vollständig aus. Mit quälender Systematik hat der Autor in unendlicher Recherchearbeit sorgfältigst rekonstruiert, was sich wie, wann zugetragen hat. Wer Opfer und wer Täter oder wer sogar beides war. Aufzählungen von Namen, Namen, Namen und Taten, Taten, Taten reihen sich immer weiter aneinander. Dabei verliert man schnell den Überblick, wem denn eigentlich was geschah und in welcher logischen Abfolge.
Beachtlich ist auch, dass der Autor die Kenntnis eines „normalen Tages“ im KZ beim Leser vorauszusetzen scheint. Beschreibt er doch lediglich einzelne Bruchstücke, statt wenigstens ein Kapitel dem „Lagerleben“, so man es so nennen möchte, zu widmen, bevor er dann damit beginnt, die Versuhe mit medizinischer Präzision nachzuvollziehn.
Der Autor ist Experte. Experte im Recherschieren, Experte im Dokumentieren, und er ist Experte für den Nationalsozialismus. Wahrscheinlich ist das Buch auch nur für Experten geschrieben. Oder für Leute, deren Angehörige in Auschwitz waren?
So quälte ich mich Stück für Stück weit durch das Buch. Es ist ein totes Buch, wirklich tot.
Erst wenn man schon auf Seite 249 beim Kapitel „Nachkriegsjahre. Die Republik verdrängt und wehrt ab“ ist, wacht der Autor plöztlich auf, und nachdem man ihm geduldig schon alle 248 vorhergehenden Seiten zugehört hat, trifft einen das dann doch recht unvermittelt. Hat er sich bisher aufs Dokumentieren versteift, so ergreift er nun Partei, entrüstet und ereifert sich gar. – Das wirkte auf mich unglaubwürdig und zwang mich beim Lesen in eine geradezu „präkare“ Lage, denn obowhol ich deutlich erkannte, dass es sich um menschenverachtende Greueltaten handeln musste, so sah ich mich doch gezwungen, die Einschätzungen des Autors anzuzweifeln, zu hinterfragen, zu „korrigieren“.
Wer weiß, vielleicht waren es ja auch die einzigen Passagen, die ich wirklich nachvollziehen konnte. Jedenfalls hätte ich mir bei den „Nachkriegsjahren“ eine ebenso emotionslose Dokumentation gewünscht, wie sie auch bei dem ganzen Rest geboten wird. Aber das ist bei jemandem mit dem Baujahr 1951 wohl nicht möglich. Denn das ist ja nunmal genau die Zeit, in die er hineingeboren wurde. Alles davor ist Geschichte, die zwangsläufig weit weg ist. Aber wer könnte es schaffen, selbst erlebtes als erlebte Geschichte emotionslos zu dokumentieren?
So störte mich am Ende doch noch genau das, was mich bei Berichten über den Nationalsozialismus schon so oft gestört hat. Die persönliche Sicht auf das, was geschehen ist, obwohl ich mich „nur“ korrekt infomieren möchte.
Dass mir hier keine Misverständnisse aufkommen: Auch bei den „Wolfskindern“ fühlte ich mich korrekt informiert. Man konnte mit den verlassenen Kindern mitfühlen und musste sie doch zugleich bewundern, dass sie ese überhaupt irgendwie schafften zu überleben. Und zum Schluß des Buches war man wirklich aufgebracht darüber, dass der deutsche Staat ihnen nicht oder nicht ausreichend hilft und auch heute ist es ja noch immer Taktik, so lange mit einer Hilfe zu warten, bis die meisten eh schon gestorben sind…
Bei diesem Buch „Die Frauen von Block 10“ geschieht jedoch am Ende etwas ganz anderes mit dem Leser und das hat der Autor so ganz sicher nicht beabsichtigt, denn man fängt an, die Einschätzung des Autors, dass der deutsche Staat „nicht genug geholfen hat“, in Zweifel zu ziehen!
Die Art des Buches, also wie es geschrieben ist – erst eine (herzlose) Dokumentation der grausamen Behandlung der KZ-Insassinnen und dann die plötzliche Ereiferung des Autors, was er darüber denkt – ist einfach etwas, was in dieser Form überhaupt nicht zusammen passt. Ich weiß nicht, aber ich denke, Hans-Joachim Lang hat mit seinem Buch den überlebenden Insassinnen von Ausschwitz keinen guten Dienst erwiesen. Er hat sie quasi ihr herzloses Schicksal noch einmal durchmachen lassen, anstatt es so zu beschreiben wie sie es empfunden haben mögen.
Das hat mich schon beim ersten Kapitel sehr schockiert. Ohne eine einzige Gefühlsregung wird nacheinander „abgehandelt“, was sich zugetragen hat. Das ist aber doch genau das, was so menschenunwürdig war. Das ist doch geanu das, weswegen überhaupt alles nur so eskalieren konnte!
Unter diesem Gesichtspunkt liest sich das Zitat von Prof. Dr. med. Dr. phil Urban Wiesig noch – ja – schockierender: „Hans-Joachim Lang stellt in seiner Geschichtsschreibung die Opfer in den Mittelpunkt, er gibt ihnen ein Gesicht, einen Namen.“
Da schüttelt es mich fast.
Nicht nur, dass das Buch ganz sicher keine „Geschichte schreibt“, sondern höchstens Geschichte beschreibt, nein, ich frage mich auch wie der Herr hochgebildet-Medizin darauf kommt, dass die Opfer nun ein „Gesicht“ haben sollen?!
Die Opfer bleiben nämlich weiterhin eine weitgehend ethnisch sortierte graue Masse. Hier hat das Buch aus meiner Sicht komplett das wahrscheinlich einst angestrebte Ziel verfehlt. Den Leidensweg der „Wolfskinder“ kann ich jetzt, nach dem Lesen, nachvollziehen, aber den Leidensweg der Versuchsfrauen leider nicht, da sie hier im Buch nur ein zweites mal Opfer wurden. Opfer einer vollständig emotionslosen, ja herzlosen Beschreibung.
In krassem Gegensatz dazu jedoch, gibt der Autor im Kapitel „Nachkriegsjahre“ dem Leser Hilfestellung, wenn es darum geht, erfolgte, verzögerte oder nicht erfolgte Entschädigungszahlungen an die Opfer zu beschreiben. Es ist vollständig unverständlich, wieso er ausgerechnet bei diesem Kapitel seine bis dato vorherrschenden Weg der Beschreibung aller Sachverhalte verlässt. Nur weil es hier um den schöden Mammon geht? Nichtmal eine Alternative bietet er an. *saynomore*
Insgesamt gesehen ist es kein gutes Buch. Die Recherchearbeit, die der Autor geleistet haben mag, ist unglaublich und vermutlich unglaublich gut. Sein schriftstellerisches Talent jedoch tendiert gegen Null. Besser, er sucht sich beim nächsten mal eine verständige Co-Autorin. Möglicherweise liegt es Frauen eher, sich mit Frauenthemen emotional angemessen auseinander zu setzen und vor allem auch aussagekräftige Zitate der Opfer auszuwählen.