Auf der Suche nach „möglichst billig“ lief mir auf dem Wühltisch doch glatt dieses Buch entgegen. Es trägt den schönen Untertitel „Eine Discounter-Angestellte kämpft um ihre Rechte“ und es ist kurz genug, um es auf einer Zugfahrt nach Münster kurz mal eben durchzulesen.
Auf 205 Seiten berichtet die Autorin über ihr Berufsleben bei KiK, Plus und Lidl und darüber wie sie Betriebsrätin bei letzterem wurde.
Irgendwie war es kein rechtes Wunder, dass das Buch auf dem Wühltisch für 2,95 Euro zu haben war. Nicht, weil es als Tatsachenbericht schlecht ist. Es ist nur so, dass hier ein nerviges Thema behandelt wird. Ob bei Lidl, beim Weltkonzern der Metallindustrie oder aber im öffentlichen Dienst: Jeder kennt doch die angesprochenen Probleme. Und der, der sie nicht kennt, für den ist auch das Buch nicht lesenswert. Das Thema ist nicht so politisch korrekt wie eine Beschäftigung mit Rassismus und nicht so ehrbar wie der Einsatz für die Opfer von Folter und Gewalt in fremden Ländern. Möglicherwiese ist der Nachteil des Buches überhaupt die Beschäftigung mit einem Thema, was eine für sehr viele einfach nur normale Realität abbildet. Es gehört zum täglichen Leben. Jedenfalls in der ein oder anderen Form.
Mobbing war vor 10 Jahren mal ein Thema. Anschreien lassen? Das gibt es heute doch gar nicht mehr. Und unbezahlte Überstunden? – Kaum ein Job, wo man nicht ohnehin eine strenge Grenze hat, die es einzuhalten gilt. Hält man die Grenze nicht ein, so liegt es an der eigenen Dummheit. Schließlich hat man ja nur einen x-Stunden Vertrag und natürlich hat man eine Telefonnummer zu hinterlegen, wenn man in Urlaub geht. Ist ja nur für den Fall eines Falles! – Schließlich stehen die Kollegen sonst ggf. ziemlich blöd da.
Von daher ist das Thema zwar immer schon ein Aufreger gewesen, aber der echte Bringer ist es nichtmal beim Lesen. Da schwankt man zwischen „ja, kenn ich“, „ja, war bei uns auch so“ und „also: wenn diese Frau DAS schon für schlimm hält?!“ bis hin zu „Okay, mein Studium hat sich definitiv nicht gelohnt, wenn irgend´ne Kassierein bie Lidl schon genauso viel verdient.“
Das Buch liest sich schnell und gut. Schriftstellerisch ist es selbst für ein „Sachbuch“ keine besondere Meisterleistung. Nichts desto trotz ist es logisch aufgebaut und leicht nachvollziehbar. Die (vorsicht englisch:) Message „mit einem Betriebsrat wird alles besser“ kommt an. Gleichwohl dies dann neue Fragen aufwirft, denn die Frau hat natürlich noch keine Erfahrung mit einem Betriebsrat gemacht, der perfekt mit der Geschäftsführung zusammenarbeitet, der sich also nicht mehr für seine Wähler einsetzt, sondern nur zu einem Schlingerkurs zwischen Anforderung und vermutlichem Wohlergegen der Angestellten führt, da Konsens darüber herrscht, dass alles sowieso nach bestem Wissen und Gewissen laufe. Da könnte man glatt ein zweites Buch schreiben.
Was ist zu tun, wenn die Institution eines Betriebsrates dazu misbraucht wird, Miststände zu manifestieren und was ist los, wenn den Mitarbeitern bei Beschwerden oder Mängelberichten gesagt wird: „Aber der Betriebsrat hat das so gewollt!“?
Aus Frau Schramm-de Robertis Sicht ist die Sache klar: abwählen, neu wählen…
Die Situation, dass die Machtverhältnisse sich so verschieben können, dass der Betriebsrat als Institution sich so verändert, dass er die herrschenden Misstände derart untermauert, dass man ihn nicht mehr zu Fall bringen kann, weil er das Wohlwollen der Geschäftsführung geniest, die ist Frau Schramm-de Robertis logischerweise völlig unbekannt. Gewerkschaft und Betriebsrat sind das, wofür sie sich einsetzt und wofür sie kämpft. Aber was passierte, wenn die Geschäftsführung die Betriebsräte geschickt für ihre Zwecke einsetzte?
Betriebsräte sind keine Allheilmittel. Es ist im Berufsleben leider erforderlich, dass jeder Mitarbiter stets und immer wieder eigene Grenzen setzt. Im anderen Falle wird der Betriebsrat ein dauerhaft zahnloser Tiger, so wie es die Gerwerkschaft schon heute im öffentlichen Dienst ist.
Die Gewerkschaft führt dieses zwar auf die geringe Mitgliederzahl zurück und Arbeitgeber nutzen dies als Beweis dafür, dass alles in Ordnung ist. Tatsächlich repräsentiert eine Gewerkschaft jedoch nicht persönlich, sondern nur die breite Masse und schließlich wollen ja auch Gewerkschaftsbosse einfach nur Karriere machen.
Bringen wir es auf den Punkt: Im Berufsleben muss man lernen, als Individuum Grenzen im Rahmen der eigenen Möglichkeiten zu setzen. Ob ich den großen Aufstand proben will, nur noch still vor meinem Bildschirm sitze und Schach spiele oder in die Gewerkschaft eintrete. Es ist letzten Endes gleich. Nein, nicht ganz. Möglicherwiese arbeitet das vermutlich gute Gefühl, in der Gewerkschaft zu sein, sogar den Zielen der Geschäftsleitung zu. In Frau Schramm-de Robertis Buch kämpft die Geschäftsführung noch gegen die Gewerkschaft und die Gewerkschaft unterstützt die Aufständischen. Diese Phasen haben jedoch breite Teile der Wirtschaft und besonders die öffentliche Hand schon lange hinter sich gelassen.
Arbeitgeber müssen erkennen, dass es ihnen schlecht bekommt, wenn Arbeitnehmer unzufrieden sind.
Brei Frau Schramm-de Robertis Lidl mag sich dies plakativ in nicht weggeräumten Kartons manifestieren, die die Gänge verstopfen. Zu erkennen, dass der gleiche Fall eintitt, sobald Client-Server Systeme aufgrund von nicht mehr erbringbarer Arbeitsleistung der Mitarbeiter/innen versagen, ist möglcherweise um einiges diffizieler. Beim Erklären stößt man gerne mal an die geistigen Grenzen seines Gegenübers und sei dieser ein noch so gebildeter Mensch. Hier versagt die Macht der Erklärung des direkten An- uns Aussprechens und so kann nichtmal mehr auch nur scheinbar Druck auf Vorgesetzte ausgeübt werden, wie es bei Frau Schramm-de Robertis noch so wundervoll nachvolziehbar und jedes mal erneut zum Scheitern verurteilt ist.
Tja. Manchmal liegen die Dinge weitaus komplzierter. Nur wird man mit dem Darstellen solcher Sachverhalte noch weniger Menschen erreichen als Frau Schramm-de Robertis mit diesem Buch. Die Probleme sind einfach zu lapidar, als dass sie bewegen könnten. – Und das sagt mehr über unsere Gesellschaft aus, als unserer Gesellschaft lieb sein kann.