Vor längerer Zeit schon mal hatte das Erdwesen einen japanisch sprechenden Physiker getroffen, der sie auf das Unglück in Tokaimura hingewiesen hatte. Seiner Schilderung nach hatte sich ein dort arbeitender Wissenschaftler in selbstloser Art und Weise geopfert, um ein größeres Unglück zu verhindern. Nun, ob das stimmt, kann das Erdwesen nicht sagen. Dieser Bericht handelt lediglich von einem Arbeiter in einer Anlage zur Verbrennung von radiaktivem Müll, der zur falschen Zeit am falschen Ort war, um etwas zu tun, dessen Gefährlichkeit er schlicht nicht einschätzen konnte. Und genau das ist Herr Ouchi.
Herr Ouchis eigene Reaktion auf die Verstrahlung mit möglicherweise 20 Sievert (ab 8 Sievert ist die Todesfolge einer Verstrahlung gewiss), wird in diesem nüchternen Bericht nur bis zum Tag 10 oder 11 nach der Verstrahlung wieder gegeben. An diesem Tag verlangt er, nicht mehr länger wie ein Meerschweinchen (Versuchstier) behandelt zu werden. Was dann jedoch folgt ist eine Tortur von 73 weiteren Tagen, die dieser arme Mann zum größten Teil bei vollem Bewusstsein aber handlungsunfähig erdulden muss, während er sich innerlich „auflöst“, über keine Haut mehr verfügt, die seine verstrahlte Vorderseite in irgendeiner Art und Weise schützen könnte und ihm mehrere Liter Flüssigkeiten täglich zugeführt werden, damit er nicht doch („vorzeitig“) stirbt.
Der Bericht ist nüchtern. Er beschränkt sich darauf, die Gedanken und Empfindungen des Pflegepersonals wieder zu geben. Er listet die medizinischen Fakten auf und einige Fotos ergänzen die Darstellung. Nichts für gefühlsduselige Naturen, nichts für Leute, die ohnehin nachts schon schlecht schlafen. Ein trockener Bericht, der allein durch seine Trockenheit in beängstigender Art und Weise fesselt.
Letzten Endes geht es nicht darum, dass es sich hier um ein Strahlenunglück handelt. Fast glaubt man beim Lesen, dies ist nur der Aufhänger, um diesem Buch in Zeiten nach Fukushima die Aufmerksamkeit zu geben, die es verdient.
Es geht hier um Verantwortung, die jeder einzelne von uns hat. Es geht darum, andere nicht blindlinks in „Fallen“ laufen zu lassen, die sie selbst einfach nicht zu sehen im Stande sind und es geht um Mitgefühl, was in unserer ach so hoch zivilisierten Gesellschaft immer mehr abhanden kommt, weil technisches eben technisch machbar ist. Wäre Herr Ouchi tatsächlich ein Meerschweinchen gewesen, hätte sich wohl ein örtlicher Tierschutzverein gefunden, der sein auswegloses Leiden beendet hätte. Aber Herr Ouchi ist ein Mensch und allein aus diesem Grunde dazu verdammt, anderen Menschen dazu zu dienen, das technisch machbare zu erforschen und weiter zu entwickeln.
Gegenüber der Technik zur Lebenserhaltung ist der einzelne machtlos. Dass auch die Situation durch die Herr Ouchi in diese Lage geriet durch für den einzelnen nicht zu durchschauende Technik herbeigeführt wurde, ist nur ein verschwindend kleiner Aspekt des ganzen hier beschriebenen Unglücks. Das Buch ist das Portrait eines bemitleidenswerten Menschen in einer Gesellschaft, die zwar als zivilisiert gilt, es definitiv jedoch nicht ist. Es ist nicht notwendig, für diese Feststellung bis ins dunkle Mittelalter zurück zu blicken. Wir sind nämlich keinen Deut besser als die Folterknechte von einst.