Einigermaßen geschockt war heute das Erdwesen, als es einen Begriff suchen wollte und dafür erstmal Wikipedia konsultierte. Da prangte Ihr auch schon in großen Lettern entgegen:
„Zeit für das erste digitale Weltkulturerbe?
Wikipedia muss Weltkulturerbe werden. Jetzt Petition mitzeichnen!“
Na – ganz sicher nicht! Gnadenlose Selbstüberschätzung, so könnte man es wohl auch nennen. Wer ist nur darauf gekommen, Wikipedia unter den Schutz der UNESCO stellen zu wollen? Das wäre so, als beantrage man, die CeBIT unter Schutz zu stellen. Die mag auch irgendwie wichtig sein, aber wird es wohl auch nicht zum Weltkulturerbe schaffen, obwohl jeder nach Gutdünken teilnehme kann.
Möglicherweise benötigen wir tatsächlich irgendwann eine Kategorie „digitale Weltkulturgüter“, aber ob das nun unbedingt mit Wikipedia anfangen muss? Wikipedias Vorteile liegen jedem, der es nutzt, klar auf der Hand. Man bekommt erste Informationen und kann ein erstes Urteil fällen. Jedoch, und da haben wir den Knackpunkt, ist vielen Leuten nicht klar, dass nicht nachgeprüft werden kann, ob ein Wikipedia-Autor wirklich Ahnung von der Materie hatte oder vielleicht doch nicht. Von daher ist es schwierig, Artikel, die nicht das eigene Fach betreffen, einschätzen zu können. Die Benutzung von Wikipedia verlangt einiges vom Nutzer und leider scheint dies dem größten Teil der Wikipedia-Nutzer überhaupt nicht klar zu sein. Sie nutzen Wikipedia wie man z.B. auch das tägliche Fernsehprogram nutzt. Sie konsumieren, ohne viel Zeit auf das Reflektieren der erhaltenen Information zu „vergeuden“.
„Aber in Wikipedia steht…“ – Wie oft habe ich das inzwischen schon von an sich durchaus intelligenten Arbeitskollegen und Arbeitskolleginnen gehört?! Und so antwortet das Erdwesen stets mit einer Frage, in welchem Artikel, denn ihr neues „Wissen“ verankert sei, um dann zu erläutern, dass sie dort einfach in 15 Minuten noch einmal nachschauen sollten. Dann stünde dort nämlich etwas anderes – und zwar das „richtige“.
So gut Wikipedia für Überblickswissen geeignet ist, so schlecht ist es doch für eine Detailbeurteilung bestimmter Themen geeignet, insbesondere dann, wenn daraus verbindliche Entscheidungen resultieren sollen.
Was glauben die „Wikipedianer“, was hier unter Schutz zu stellen wäre? Die Inhalte können es nicht sein, denn sonst müsste ja auch der gute alte Brockhaus, das große Meyers oder die Enzyklpädia Britannica unter Schutz gestellt werden. Was ist mit OpenStreetMap? Und was ist mit den ganzen Fachforen? Gibt es eine Software, die es verdient, unter Schutz gestellt zu werden? – Wenn ja, dann sicher Windows, oder?
Es ist blödsinnig, digitalen Firlefanz als Weltkulturerbe zu sehen. Dafür verändert es sich viel zu schnell. In 10 Jahren wird man vielleicht schon über die lächerlichen Versuche, das „Weltwissen“ im MediaWiki zu horten lachen, weil es längst intelligente Datenbanken gibt, die tatsächlich Fragen zu lösen verstehen, sofern die Fragen erstmal jemand überhaupt stellt. Wikipedia ist nur eine schlaffe, aber dennoch meistens aktuelle Ausgabe einer ganz normelen Enzyklopädie. Nicht mehr und nicht weniger. Das „Weltwissen“ oder das, was wir derzeit dafür halten, unter Schutz zu stellen, das könnte man nicht nur unter dem digitalen Aspekt sehen, wenn es den meisten Leuten vielleicht auch hier zum ersten mal bewußt wird, dass es so etwas gibt (…).
Wie sieht es aber mit der Software aus? – Wohl eher nicht. Das System „unbekannte Begriffe“ nach dem ABC zu sortieren und in Artikeln zu erläutern, das hat wohl jemand schon vor sehr, sehr langer Zeit erfunden. Wikipedia wird wissen, wer das war. Das ist also auch nicht neu. Die Software selbst, war sicher nicht die erste ihrer Art und dass viele Leute an dem Wissen mitarbeiten, das ist auch schon bei den Mönchen vermutlich so gewesen. Nur kannte man sich untereinander und hat sicherlich darauf geachtet, dass nicht irgendein Pausenclown etwas schrieb, über das er nichts wußte.
Was bleibt ist, dass zum ersten mal Menschen mit und ohne Wissen eine Wissenstabelle erstellen, die dann „irgendwie“ für alle „pseudo-verbindlich“ und – und das ist der Hauptpunkt – zugänglich ist. Die Meute hat hier natürlich eine ziemlich große Macht, aber die Geschichte zeigt auch immer wieder, dass die Masse nicht unbedingt „im Recht“ sein muss. Eher sieht es doch so aus, dass die meisten Menschen gerne ein Stück vom Ganzen sein möchten. Da ist es nicht schlecht, hier und da eine Sieger- oder gar Ehrenurkunde zu ergattern. Hier und da einen kleinen Pokal zu bekommen oder halt Bestandteil etwas so gewaltigen wie einem Weltkulturerbe sein zu wollen. Und manchen steigt so etwas einfach zu Kopfe. Aber besser oder wichtiger wird die Angelegenheit damit auch nicht.
Erdwesen meint daher:
Wikipedia? – Kein Weltkulturerbe, sondern nur eine temporäre Erscheinung, die die Welt sicherlich verändert hat und verändern wird.